„Wenn wahre Lehre verstanden wird, ändern sich die Einstellung und das Verhalten. Wenn man sich mit den Lehren des Evangeliums auseinandersetzt, ändert sich das Verhalten schneller, als wenn man sich mit dem Verhalten auseinandersetzt.”
– Präsident Boyd K. Packer
Als ich in meinem 2. Studienjahr an der BYU war, nahm ich an einem Ehevorbereitungsseminar teil. Ich sollte eine Hausarbeit meiner Wahl schreiben, über das Ausgehen und die Ehe. Ich war eine aktive Jugendliche in der HLT-Kirche und hatte ziemlich viele Lektionen über Keuschheit gehört. Also dachte ich, es wäre eine gute Idee, über die schädlichen Folgen von vorehelichem Sex zu schreiben. Ich kannte bereits die Grundlagen: Vorehelicher Sex ist eine Sünde und man sollte keinen haben. Hat man ihn doch, wird man von Gefühlen der Schuld überwältigt. Alles, was ich tun musste, war, ein paar Studien dazu zu finden, um meine Theorie zu stützen, und ich wäre mit meiner Hausarbeit fertig, bevor jemand auch nur „Abstinenz” sagen kann.
Du kannst dir also vorstellen, dass ich sehr verwirrt war, als ich herausfand, dass meine Nachforschungen nicht auf meiner Seite waren. Den Studien, die ich fand, zufolge waren amerikanische Jugendliche, die an vorehelichem Sex teilhatten, nicht von Schuldgefühlen überwältigt. Viele bereuten ihn nicht einmal. Ich war perplex. Die Forscher müssen etwas falsch gemacht haben, dachte ich. Vielleicht war die Anzahl der Befragten nicht groß genug. Vielleicht waren die Teilnehmer der Studie alle Lügner. Natürlich haben sie Schuldgefühle, wenn sie vorehelichen Sex haben! Deswegen sollen sie ihn doch vermeiden! Zumindest glaubte ich das.
Du kannst wahrscheinlich jetzt schon die Fehler in meiner Logik erkennen. Ich glaubte an Keuschheit und wollte ein reines Leben führen, aber ich hatte die Gründe dafür nicht ganz verstanden. Die Lektion, die meine Freunde und ich scheinbar immer hörten, war eine Botschaft der Abschreckung. Sie besagte, dass wir uns für die Ehe aufsparen sollten, denn wenn wir das nicht täten, wären die unmittelbaren emotionalen Folgen katastrophal. Zitate über die Gewissensbisse und Schuldgefühle von unkeuschem Verhalten kamen mir häufig in den Sinn. Um es kurz zu fassen: Es ging immer nur um die Vermeidung von Unkeuschheit.
Das Gesetz der Keuschheit ist selbstverständlich ein strenges Gebot. Die Ernsthaftigkeit des Gesetzes wird in den heiligen Schriften und in Unmengen von Generalkonferenzansprachen verdeutlicht. Aber wie alle Gesetze Gottes ist auch Keuschheit entworfen, um uns Freude zu bringen, nicht Scham. Wenn die Lehre der Keuschheit nur auf den negativen Konsequenzen der Übertretung basiert, gibt das einen verzerrten Eindruck von der Realität und die unterschwellige Botschaft, dass Sex etwas rein schlechtes ist. Wie sollen wir den positiven Wert von Keuschheit dann lernen? Wir müssen die negativen Konsequenzen ernst nehmen, aber auch klarstellen, dass es positive Gründe für die Befolgung des Gesetzes gibt. Ich schlage drei verschiedene Arten vor, um Keuschheit zu lehren.
Level 1: Die Konsequenzen
Hiermit sind wir bereits bekannt. Mithilfe von Negativbeispielen werden Jugendliche belehrt, keusch zu sein, um die grässlichen Folgen zu vermeiden, die das Brechen des göttlichen Keuschheitsgesetzes nach sich zieht. Gibt es Konsequenzen, wenn man vorehelichen Sex hat? Ja, absolut. Aber sie sind nicht unbedingt das, was ich erwartet habe.
Die Folge, die wir oft diskutieren, ist Schuld. Schuldgefühle sind unter Jugendlichen, die vorehelichen Sex haben, weit verbreitet, ABER diese Schuld korreliert mit dem Level der Religiosität dieser Jugendlichen. Mit anderen Worten: Je religiöser du bist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass du dich schuldig fühlst, wenn du unkeusch lebst. Bedeutet das, dass die Kirche uns angelogen hat, wenn sie lehrt, dass Schuldgefühle gleich nach Übertretung des Gesetzes der Keuschheit folgen? Nein. Sie sagen etwas, was sich als wahr für HLT bewiesen hat, aber nicht unbedingt für die Welt als Ganzes.
Aber zieh keine voreiligen Schlüsse. Das bedeutet nämlich nicht, dass nur die Religiösen sich über unkeusches Verhalten schlecht fühlen und der Rest der Welt damit seinen Spaß hat. Studien belegen, dass unreligiöse Jugendliche, die vorehelichen Sex haben, etwas Ähnliches erleben; etwas, was häufiger auftritt als Schuldgefühle: Reue. Klingt gleich? Ist es nicht. Schuld kommt daher zu wissen, dass du ein göttliches Gebot gebrochen hast, obwohl du wusstest, dass es verkehrt war. Du kanntest das Gesetz der Keuschheit, aber hast es dennoch gebrochen. Reue folgt aus anderen Gründen. In einer Studie, die Studenten mit vorehelichen sexuellen Erfahrungen befragte, gab die Mehrheit an, dass sie ihre Entscheidung später bereuten. Der am häufigsten angegebene Grund dafür war, dass sie das Gefühl hatten, dass ihre Entscheidung ihre persönliche Moralvorstellung verletzte; sie realisierten, dass sie nicht das Gleiche wollten wie ihr Partner und sich unter Druck gesetzt fühlten. Das Bereuen ist zwar nicht immer der Fall, aber es ist extrem häufig, vor allem bei jungen Mädchen.
Vorehelicher Sex führt ein erhöhtes Risiko für Instabilität in einer später eingegangenen Ehe mit sich. Einer Studie zufolge ist vorehelicher Sex einer der führenden Faktoren, die Stabilität in der Ehe in den USA beeinträchtigen. Eine weitere Studie zeigt ebenso, dass ein Verlust der Jungfräulichkeit vor der Ehe in direktem Bezug zu einem höheren Scheidungsrisiko steht. Des Weiteren gibt es die offensichtlichen Folgen von vorehelichem Sex. Sexuell übertragbare Krankheiten und ungewollte Schwangerschaften sind immer ein Risikofaktor für diejenigen, die nicht keusch leben. Diejenigen, die das Gesetz der Keuschheit brechen, können mit diesen Konsequenzen konfrontiert werden und feststellen, dass das Vergnügen einer Nacht nicht im Verhältnis zu den Konsequenzen steht, die daraus folgen.
Zwar sind negative Konsequenzen real, aber sie sind nicht das A und O der Keuschheit. Es gibt keine 100%-Garantie, dass du eine dieser Konsequenzen erleben wirst, wenn du das Gesetz der Keuschheit brichst, also ist da die Möglichkeit, „mit einem blauen Auge davonzukommen”. Aber das Gesetz der Keuschheit gilt für alle, also muss es mehr Gründe dafür geben, es zu befolgen.
Level 2: Belohnungen
Das nächste Level ist, mit Belohnung vorzugehen. Gibt es Belohnungen, wenn man das Gesetz der Keuschheit hält? Ja, daran gibt es keinen Zweifel. Zum Beispiel vermeidet man alle negativen Konsequenzen! Taaa-daaaaah! Aber warte, es gibt noch mehr! Eine weitere großartige Sache, wenn man bis zur Ehe keusch bleibt, ist etwas, das sich Beziehungs-Balance nennt. Stell dir ein Paar vor, das sich emotional so nahe fühlt, dass sie alles miteinander teilen können. Sie kennen alle Geheimnisse, Träume und Ängste des anderen bis ins intimste Detail und lieben sich innig. Jetzt stell dir vor, auf körperlicher Ebene wäre es ihnen schon unangenehm sich nur zu umarmen. “Was?! Diese Beziehung ist ganz klar nicht im Gleichgewicht!” Ihr Level an emotionaler Intimität ist viel höher als ihre körperliche Intimität. Das gleiche Problem haben Männer und Frauen die unkeusch leben – nur anders herum. Wenn die körperliche Beziehung schneller eskaliert als die emotionale und geistige Beziehung, dann ist die Beziehung ungesund, weil unbalanciert. Paare sollten auf allen Gebieten gleich viel Fortschritt machen, sodass wenn die ultimative emotionale und geistige Verpflichtung ansteht (die Ehe), sie dazu bereit sind, die ultimative körperliche Verpflichtung einzugehen (Geschlechtsverkehr).
Außerdem ist Sex in der Ehe selbstloser, was die Erfahrung an sich besser macht. Die Familien- Soziologen Waite und Gallagher haben herausgefunden, dass bei Intimität, die auf gegenseitiger Liebe beruht, der Fokus sich von der egozentrischen Selbstbefriedigung zum Fokus auf den Partner wandelt. Dies fördert eine selbstlose Einstellung zum Sex, die paradoxerweise zu mehr persönlicher sexueller Befriedigung führt – sowohl für den Mann als auch die Frau. Nicht schlecht, oder?
Die Einstellung, das Gesetz der Keuschheit für die Belohnung einer erfüllten Ehe zu halten, ist besser als es aus Angst vor negativen Konsequenzen zu halten. Es stellt Sex als eine gute Sache dar und etwas, das zur richtigen Zeit eine positive Erfahrung ist. Aber, ist das wirklich der Grund für das Gesetz der Keuschheit? Wird der Belohnungs-Fokus wirklich einen Herzenswandel in jemandem verursachen und ihn dazu bringen, das Gesetz der Keuschheit zu halten? Er ist schon besser, aber er verfehlt immer noch den Sinn des Gesetzes.
Level 3: Der Sinn
Was also ist der Sinn hinter dem Gesetz der Keuschheit? Warum möchte der Herr, dass wir keusch sind und welche Rolle spielt sexuelle Intimität, wenn man verheiratet ist?
Wir glauben, dass das höchste Bündnis, das wir auf der Erde schließen, der Ehebund ist, den wir im Tempel schließen. In der Natur der Sache liegt daher, dass Sex nur in diesem Rahmen, von Gott ordiniert, eine Rolle spielen soll. Spencer W. Kimball zitierte einmal Billy Graham, der sagte:
„Die Bibel feiert den Sex und den korrekten Umgang damit, sie präsentiert ihn als von Gott erschaffen, von ihm verordnet und gesegnet. Sie zeigt auf, dass Gott selbst die körperliche Anziehung zwischen den Geschlechtern gutheißt. Dafür gibt es zwei Gründe: für die Fortpflanzung der Menschheit und um die Liebe zwischen Mann und Frau zum Ausdruck zu bringen, die wahre Einigkeit beschreibt.”
Elder Holland sagte, dass körperliche Intimität das „ultimative Symbol totaler Einigkeit ist, eine Vollständigkeit und eine Einigung, die von Gott verordnet und definiert wurde. Vom Garten Eden an hatte die Ehe den Sinn, die völlige Verschmelzung zwischen Mann und Frau zu sein – ihrer Herzen, ihrer Hoffnungen, ihrer Leben, ihrer Familien, ihrer Zukunft, von einfach allem.”
Der Grund, aus dem wir keusch sind, ist, damit wir Sex nutzen können, um eine celestiale Ehe zu bauen, nicht um damit rumzuspielen in der großen, einsamen Welt, die sich mehr um billige, kurzfristige Vergnügen schert als um alles andere. Sex hilft uns, Einigkeit zu erreichen und das Eheleben auf eine besondere, höhere Ebene zu setzen. Er öffnet die Tür für eine tiefe, intime, vollständige Beziehung zwischen Ehepartnern. Er konzentriert sich mehr auf gegenseitige Liebe als auf Lust. Ein unglaublich schönes Idealbild einer stabilen Beziehung zwischen zwei Menschen, oder? Und genau darum geht es bei der Keuschheit. Echte Keuschheit bereitet auf eine Ehe mit göttlichem Anspruch vor. Voller Freude, voller Romantik und voll von immerwährender Liebe. Es geht darum, den Sex zu feiern, ein erfülltes Leben zu leben und unsere Ehen zu bereichern, komplett ohne Reue. Wenn du dir das wirklich in deinem Herzen wünschst, dann hast du kein Interesse mehr daran, das Gesetz der Keuschheit zu brechen, weil du siehst, dass alles, was der Keuschheit widerspricht, dich von der ewigen Liebe abbringt, mit der Gott dich segnen will.
Schuldgefühle und negative Konsequenzen? Ja, es ist wichtig darüber bescheid zu wissen. Aber sie sind nur ein kleiner Teil dieses großartigen Gebots der Keuschheit. Wir müssen uns daran erinnern, wenn wir über das Gesetz der Keuschheit sprechen. Wir müssen uns daran erinnern, dass Gott uns den Geist der Liebe gegeben hat und nicht einen Geist der Angst (2.Timotheus 1:7). Lasst uns immer im Hinterkopf behalten, dass das Gesetz der Keuschheit das Schöne bewahrt und nicht nur das Schlechte vermeidet.
Der Beitrag wurde aus dem Englischen übersetzt und am 6. Juli 2015 auf www.ldsdaily.com veröffentlicht. Die Autorin ist Nanette Austin Wrathall. Übersetzt von Maren Leit.
Wenn Sie mehr über die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) wissen möchten, dann besuchen Sie einfach eine der offiziellen Webseiten der Kirche: mormon.org und lds.org.