Unsere persönlichen Erfahrungen prägen unsere Wahrnehmung. Ich machte ein paar ungewöhnliche Erfahrungen. Ich bin eine jüdische Konvertitin. Mein Glaube ist der mormonische, mein Verstand aber jüdisch (und glaubt mir, das ist etwas ganz eigenes). Vor einigen Jahren schnappten wir uns unsere fünf Kinder und zogen für „unbestimmte Zeit” nach Israel – schlussendlich waren das dann 8 Jahre. Ich habe dort viel gelernt – über Juden, über Israel, über das Judentum und über mich selbst. Was kann ein Jude, der jahrelang in Israel gelebt hat, nun im Buch Mormon erkennen, das andere vielleicht nicht erkennen?

1.Nephi schildert das Passahfest

Auf diesem Bild sieht man wie einige Juden das Passahfestmahl einnehmen.

Das israelische Passahfestmahl

Das Passahfest ist für die Juden das wichtigste Fest des Jahres. Die erste Nacht des Festes wird mit einem rituellen Festmahl zelebriert. Den Höhepunkt des Abends bildet die Erzählung der Geschichte der Befreiung der Israeliten aus Ägypten, welche auch der Anlass für das Fest ist. Zusätzlich zur Geschichte der Befreiung und dieser Erlösung  beten Juden auch immer dafür, dass ALLE Menschen von Unterdrückung befreit werden. Jedes Mal, wenn es gewissermaßen hart auf hart kommt, ob nun beim Passahfest oder zu einem anderen Zeitpunkt, greifen die Juden immer wieder auf die Wunder zurück,die Gott für sie in der Wildnis vollbracht hat.

Interessant, dass wenn Laman und Lemuel am streitsüchtigsten und ungläubigsten sind, Nephi das beides auch tut! Gott bewahrt die Israeliten, aber er achtet jeden gleich. (1 Nephi 17:23-42)

2. Hebräische Wörter in ägyptischen Buchstaben

 

Auf diesem Bild befinden sich Schriften in reformiertem Ägyptisch, Ladino (Juden-Spanisch) und Jiddisch.

Reformiertes Ägyptisch (oben), Ladino/ Juden-Spanisch (links unten) und Jiddisch (rechts unten)

Neuzeitliche Forscher haben bestätigt, dass von jüdischen Schreibern zu Lehis Zeit ein reformiertes bzw. hieratisches Ägyptisch verwendet wurde, und Nephi sagt, dass das Buch Mormon auf Hebräisch mit Hilfe von reformiertem Ägyptisch geschrieben wurde, was Platz auf den nur schwer beschreibbaren metallenen Platten einsparen sollte.

Für den heutigen Juden klingt das völlig plausibel und funktioniert in beide Richtungen, je nachdem, was praktischer ist. (Wenn also Hebräisch weniger Platz benötigen würde, könnte man Ägyptisch verwenden und das hebräische Alphabet.) Man verwendet also die Schrift, die am praktischsten ist und bindet die jeweils bedeutendsten Wörter ein. Dabei haben jüdische Flüche und Beleidigungen hohe Priorität. Daher haben die Juden vor nicht allzulanger Zeit Ladino (Juden-Spanisch) eingeführt und Jiddisch (Juden-Deutsch, das das Deutsche mit dem Aramäischen und Hebräischen verbindet in hebräischer Schrift).

3. Jareds Bruder war der Zohar bekannt, wodurch Noahs Arche erhellt wurde

Ein Bild von Jareds Bruder, der dem Beispiel Noachs folgte. Jareds Bruder ist ein Prophet im Buch Mormon. Seine Geschichte ist zu finden im Buch Ether.

Jareds Bruder, der Noachs Beispiel folgt

Gehen wir nun zu Genesis 6:16 und lesen den Vers: „Ein Fenster sollst du daran machen obenan, eine Elle groß. Die Tür sollst du mitten in seine Seite setzen. Und er soll drei Stockwerke haben, eines unten, das zweite in der Mitte, das dritte oben.” (Lutherübersetzung 1984). Das Wort, das hier mit „Fenster” übersetzt wurde, lautet im Hebräischen „tsohar”. Einige Rabbis vermuteten, dass es sich dabei um einen wertvollen Stein handelt, der im Dunkeln leuchtete (vgl. Ether 2:23,24). Das hebräische Wort Zohar bedeutet „Licht” oder „Glanz” und dieses Licht stand im Zusammenhang mit magischen Steinen. Der Bruder Jareds folgerte daraus logischerweise, dass wenn es damals für Noach funktioniert hatte, es auch in seinen acht dunklen Schiffen funktionieren würde. Daher legte er dem Erlöser 16 Steine vor, die durch seine Berührung zum Leuchten gebracht werden sollten.

4. Im Buch Mormon werden Juden “beleidigt”

Jesus steht vor seiner Verurteilung vor Kajaphas und dem Sanhedrin (Hoher Rat).

Im Alten und im Neuen Testament werden die Juden für verschiedene Übertretungen getadelt.

Aber so ist es auch im „alten Alten Testament” (der Tanach besteht aus den drei Teilen Tora („Weisung“), Nevi’im („Propheten“) und Ketuvim („Schriften“)). Juden gehen eigentlich recht locker mit Beleidigungen um und sind ganz gut darin, sich gegenseitig zu beleidigen. Es ist ihnen außerdem auch ganz wichtig, Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen; daher werden Warnungen ernst genommen.

Zwei Beleidigungen fallen im Buch Mormon auf:

Im 2 Nephi 10:3 sagt Nephi, dass es keine andere Nation auf Erden gäbe, die ihren Gott kreuzigen würde. Denken wir an das Jahr 33 n. Chr. zurück, fällt uns keine andere Nation ein, die in ihrem Glauben nur einen Gott hatte. Sie waren damals polytheistisch und hatten viele Götter. Ein israelischer Freund stellte sich vor, was wohl geschehen wäre, wenn Christus seine Wunder in Persien vollbracht hätte. Sie hätten gesagt: „Das ist ja großartig. Du bist ein Gott! Wo sollen wir deine Statue hinstellen?”

Israel hatte seit Jahrhunderten versucht, sich dadurch von anderen Kulturen zu unterscheiden und war so fokussiert darauf, dass es nur den einen Gott gebe, dass sie sogar aus den Augen verloren hatten, dass es einen Erretter oder Vermittler bräuchte. Also waren sie wirklich die einzige Nation, bei der es so weit kommen konnte.

Die andere „Beleidigung” ist in 2 Nephi 25:2 zu finden: „Denn ich, Nephi, habe sie nicht viel in Bezug auf die Weise der Juden belehrt, denn ihre Werke waren Werke der Finsternis, und ihre Taten waren Taten des Gräuels.”

Also: Den Juden, vor denen Lehis Familie gerade erst geflohen war, stand die Zerstörung wegen ihrer Schlechtigkeit bevor. Sie hatten das Glück, dass all ihre Sünden ihnen haarklein von ihren Propheten aufgelistet worden waren. Wenn sie zugehört hätten und umgekehrt wären, hätten sie überlebt – stattdessen töteten sie ihre Propheten. Ihre Werke damals waren Werke der Finsternis, kein Zweifel. Diese Verurteilungen im Buch Mormon sind nicht schlimmer als die von Jeremia.

5. „Schaut her, sie halten sich nicht einmal an das Wort der Weisheit.”

 

Auf diesem Bild sieht man, wie Daniel (nach einem jüdischen Gebot) unkoscheres Essen ablehnt.

Daniel und seine Freunde verpflichten sich dazu, koscher zu leben

Sich an das Wort der Weisheit zu halten, mag vielleicht nicht das wichtigste von all den Geboten der Mormonen zu sein, aber das Wort der Weisheit zu übertreten ist am auffälligsten. So ist das auch mit Leuten, die sich nicht an das Gesetz des Mose halten. Sowohl Enos als auch sein Sohn Jarom machen einige spitze Bemerkungen im Buch Mormon, die die Lamaniten beleidigen sollten, die aufgehört hatten, sich an die Essensvorschriften im Gesetz des Mose zu halten. Behaltet im Hinterkopf, dass Juden nach dem Gesetz des Mose kein Blut irgendeines Tieres zu sich nehmen durften (und noch immer nicht dürfen). Sie durften/ dürfen nur Fleisch reiner Tiere essen, was Raubtiere ausschließt. Enos hatte Folgendes über die Lamaniten zu sagen: „…und sie wurden wild und grausam und zu einem blutdürstigen Volk, voll von Götzendienst und Schmutz; sie ernährten sich von wilden Tieren, wohnten in Zelten und zogen in der Wildnis umher mit einem kurzen Lederschurz um die Lenden und den Kopf rasiert; und ihre Fertigkeit erstreckte sich auf den Bogen und auf den Krummdolch und das Beil. Und viele von ihnen aßen nichts als rohes Fleisch; und sie trachteten ständig danach, uns zu vernichten.” (Enos1:20) Und auch Jarom mischt sich ein und beschreibt: „Und diese waren sehr viel zahlreicher, als die Nephiten es waren; und sie liebten den Mord und tranken das Blut wilder Tiere.” (Jarom 1:6)

6. Das Gesetz des Mose leben, während sie auf Christus schauen

König Benjamin

Die Nephiten hielten sich, solange sie auf Christus warteten, an das Gesetz des Mose

Als Mose das Gesetz Gottes einführte, war er auch deutlich in seinen Aussagen, dass ein Messias kommen würde und verwendete dessen Namen. Im Buch Mormon wird immer und immer wieder erwähnt, dasss alles im Gesetz des Mose auf Christus hinweisen sollte. Irgendwie sind die meisten der eindeutigen Hinweise in der biblischen Beschreibung verloren gegangen. Es ist möglich, dass als die jüdischen Führer das Gesetz aufschrieben und die Schriften zusammenstellten, es eine neue gegensätzliche Philosophie gab, von der sie sich abheben wollten. Erst war es der Polytheismus gewesen, nun war es das Christentum. Viele Verse, die als Hinweis auf Christus hätten ausgelegt werden können und wurden, wurden weggelassen. Das lässt sich zwar nicht beweisen, aber die Völker im Buch Mormon gingen besser mit ihren Profeten um und schenkten deren Rat Beachtung. Bemerkenswert ist, dass während die Schriften von Lehi und Nephi bewahrt blieben, die von Jeremia zerstört wurden (vgl. Jeremia 36:27: „Nachdem der König die Rolle mit den Worten, die Baruch nach dem Diktat Jeremias niedergeschrieben hat, verbrannt hatte, …” (Einheitsübersetzung) (siehe dazu auch Mosia 13:27; 1 Nephi 4:15, 2 Nephi 25, Alma 25:15, 30:3, 25:16.)

7. Nach Jerusalem hinauf und von Jerusalem hinab

Hier ist ein Foto von Jerusalem und Umgebung.

Jerusalem und Umgebung (Deseret News)

Jerusalem liegt in den Bergen, ca. 600-800 m über dem Meeresspiegel. Das ist zwar nicht sonderlich hoch, aber deutlich höher als das Tote Meer, das 428 m unter dem Meeresspiegel liegt. Würde man also vom Toten Meer nach Jerusalem reisen, würde es trotzdem “bergauf” gehen. Jerusalem gilt allerdings auch als heilig, darum würde es der jüdischen Tradition nach immer von überall “aufwärts” gehen, wenn man nach Jerusalem geht. Auch zum Heiligen Land geht es laut Tradition immer “hinauf”. Wenn man also gefragt werden würde, wann man in Israel angekommen sei und wann man weggegangen sei, würden Juden immer antworten: „Ich bin in diesem Jahr dort hinauf gekommen und in jenem Jahr wieder hinabgegangen.” Jemand, der also in Jerusalem einwandert, steigt gewissermaßen immer auf. Joseph Smith hätte das unmöglich wissen können. Daher kann man davon ausgehen, dass es eine Bestätigung für das Buch Mormon ist, dass dort auch so gesprochen wird (vgl. 1 Nephi 3:4). (Weitere Informationen zum Thema sind auf Englisch hier zu finden).

8. Exil und Sammlung

Babylon erobert Jerusalem (von Juan de la Corte)

Babylon erobert Jerusalem (von Juan de la Corte)

Die Familien, die Jerusalem verlassen hatten, sehnten sich ein Leben lang nach ihrer Heimat. So ist das, wenn man aus Jerusalem weggeht. Jeder, der das schon getan hat, weiß das. In all den Kapiteln Jesajas, die Nephi für uns bewahrt hat, gibt es nur drei Themen: dass der Messias kommen wird, dass das Volk Israel zerstreut werden wird und dass es wieder gesammelt werden wird. Das machte dem Volk Hoffnung.

Sie glaubten daran, dass ihre Nachkommen eines Tages zurückkehren würden. Jakob sagte: „…die Zeit [ist] mit uns vergangen, und auch unser Leben ist vergangen, als sei es für uns gleichsam ein Traum; denn wir sind ein einsames und ernsthaftes Volk, Wanderer, aus Jerusalem ausgestoßen, geboren in Drangsal, in einer Wildnis, und von unseren Brüdern gehasst, woraus Kriege und Streitigkeiten entstanden sind; darum haben wir unsere Tage vertrauert.” (Jakob 7:26)

9. Olivenbäume

Auf diesem Foto sieht man einen alten Olivenbaum. Israelische Juden haben großes Wissen über Olivenbäume.

Israelische Juden haben großes Wissen über Olivenbäume

In den acht Jahren, die ich in Jerusalem lebte, lernte ich so einiges über Olivenbäume. Sie haben ganz spezielle Eigenschaften, sind lebenserhaltend und dienen als Symbol in tausenden Parabeln. Aber gab es sie auf dem amerikanischen Kontinent? Doch eher nicht. Die Geschichte Jakobs stammt aus seiner Heimat. (Jakob 5) Das Gleichnis vom Ölbaum zeigt deutliche Parallelen zu den väterlichen Segen auf, die Jakob (Israel) seinen Söhnen Efraim und Manasse gab. Juda regierte weiterhin, während Josef durch Efraim hinauszieht und die Gesammelten in Wurzel und Stamm einpfropft. Als Jude kommt einem das stimmig vor.

10. Urim und Thummim

„Lichter und Vollkommenheiten”. So wie uns diese Gerätschaften heutzutage eher an Zauberei erinnern, klingt es für den Juden, der sich etwas in der altertümlichen Geschichte auskennt, ganz normal. Seher-Steine wurden damals verwendet und werden immer verwendet werden.

Priester des Tabernakels

Urim und Thummim („Lichter und Vollkommenheiten”) werden in jüdischen Schriften beschrieben

Es ist richtig, dass es im Buch Mormon viele Hebraismen gibt, die von Religionsgelehrten der Mormonen (und Nicht-Mormonen) immer wieder entdeckt werden (Chiasmen, einen Stil von Wüstengedichten, altertümliche Namen von Menschen und Orten), die die Authentizität des Buches Mormon bestätigen. Aber es gibt auch viele Judaismen. Ich glaube wirklich nicht, dass Joseph Smith ausreichend gebildet war, um sich die Hebraismen auszudenken; aber die Judaismen auf keinen Fall. Was denkt ihr?


Der Beitrag wurde aus dem Englischen übersetzt und am 28.2.16 auf lds.net veröffentlicht. Die Autorin ist ursprünglich Gale Boyd. Übersetzt von Kristina Vogt.