Wissenschaft, Bibel und warum dein Bild falsch sein könnte

Wenn wir heute an Jesus Christus denken, haben viele von uns ein bestimmtes Bild vor Augen: ein Mann mit langen, braunen oder blonden Haaren, meist heller Haut, feinen Gesichtszügen und oft einem sanften Blick. Dieses Bild hat sich tief in das kulturelle Gedächtnis vieler Menschen eingebrannt – sei es durch Gemälde der Renaissance, Kirchenfenster oder moderne Filme. Aber entspricht dieses Bild der historischen Realität? Wie sah Jesus wirklich aus?

Jesus für alle – und überall anders dargestellt

Ob in Europa, Asien, Afrika oder Lateinamerika – Menschen auf der ganzen Welt haben sich im Lauf der Jahrhunderte Bilder von Jesus gemacht, die oft ihrer eigenen Kultur ähneln. In afrikanischen Kirchen sehen wir manchmal einen dunkelhäutigen Jesus, in Ostasien wird er mit asiatischen Gesichtszügen dargestellt. Diese Darstellungen spiegeln nicht nur lokale Identität wider, sondern zeigen auch, wie sehr Jesus als universeller Erlöser verstanden wird – einer, der allen Menschen nahe ist, nicht nur einer bestimmten Ethnie oder Kultur.

Jesus im Spiegel der Geschichte: Was sagt die Forschung?

Neuere Forschungen, wie sie unter anderem von Historikerin Joan Taylor (King’s College London) angestellt wurden, legen nahe, dass Jesus vermutlich etwa 1,65 m groß war, eine olivfarbene Haut hatte, braune Augen sowie dunkles, lockiges Haar. Auch ein kurzer Bart wäre für Männer seiner Zeit üblich gewesen. Diese Einschätzungen basieren auf archäologischen Funden, Knochenanalysen und antiken Textquellen. Laut einem Beitrag der BBC von 2015 könnte Jesus auch kräftiger gebaut gewesen sein, als viele Darstellungen vermuten lassen – möglicherweise wettergegerbt durch das Leben im Freien und körperlich aktiv als Bauhandwerker. Der Begriff „Tekton“, der im Griechischen verwendet wird, bedeutet nicht nur „Zimmermann“, sondern kann auch einen Bauarbeiter oder Steinmetz bezeichnen. Jesus könnte also mit Werkzeugen und schwerem Material gearbeitet haben – was auf einen kräftigen, robusten Körperbau hindeutet. Auch seine Kleidung war wahrscheinlich einfach: ein ungebleichtes Wollgewand, Sandalen, ein Gürtel – nichts an ihm wies äußerlich auf Reichtum oder besondere Stellung hin.

Ergänzt wird dieses Bild durch eine forensische Rekonstruktion, über die die BBC bereits 2001 berichtete. Sie zeigt das rekonstruierte Gesicht eines jüdischen Mannes aus dem 1. Jahrhundert – mit rundlichem Gesicht, breiter Nase und krausem Haar. Dieses Modell erhebt keinen Anspruch darauf, Jesus genau abzubilden, vermittelt aber einen realistischeren Eindruck davon, wie ein Mann seiner Zeit und Herkunft ausgesehen haben könnte.

Was sagt die Bibel über das Aussehen von Jesus?

Interessanterweise enthält das Neue Testament keine detaillierte Beschreibung des äußeren Erscheinungsbildes Jesu. Die Evangelien legen den Fokus auf sein Wirken, seine Lehren, Wunder und letztlich auf seine Mission als Erlöser. Eine berühmte Prophezeiung aus Jesaja 53:2 beschreibt den Messias so:

„Er hatte keine schöne und edle Gestalt, / sodass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, / dass wir Gefallen fanden an ihm.”

Dies deutet darauf hin, dass Jesus kein besonders auffälliges oder idealisiertes äußeres Erscheinungsbild hatte.

In der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage wird gelehrt, dass Jesus der Sohn Gottes ist und ein verherrlichtes Wesen. Doch bezüglich seines sterblichen Lebens wird ebenfalls anerkannt, dass er ein Jude war, geboren von Maria in Bethlehem, aufgewachsen in Nazareth. Die heiligen Schriften konzentrieren sich nicht auf das Aussehen von Jesus, sondern auf seine Rolle als Erretter der Welt.

Ein interessanter Hinweis findet sich zudem in 1. Korinther 11:14-15, wo Paulus schreibt:

„Lehrt euch nicht schon die Natur, dass es für den Mann eine Schande, für die Frau aber eine Ehre ist, lange Haare zu tragen? Denn der Frau ist das Haar als Hülle gegeben.”

Auch wenn sich diese Aussage auf soziale Konventionen der damaligen Zeit bezieht und nicht direkt Jesus meint, zeigt sie, dass lange Haare bei Männern nicht unbedingt als Ideal galten – was das gängige Bild vom langhaarigen Jesus weiter in Frage stellt.

Der Bibelwissenschaftler J. Andrew Doole weist darauf hin, dass frühe Darstellungen in römischen Katakomben Jesus sogar mit kurzen Haaren und ohne Bart zeigen. Das legt nahe, dass das langhaarige, bärtige Bild späteren kulturellen Entwicklungen entspringt und weniger einer historischen Realität entspricht.

Warum wird Jesus oft europäisch dargestellt?

Die europäische Darstellung Jesu ist ein Produkt der Kunstgeschichte. In der Spätantike (ca. 300–600 n. Chr.) und besonders in der Renaissance (ca. 1300–1600 n. Chr.) begannen europäische Künstler, Jesus so darzustellen, wie sie sich einen edlen, tugendhaften Menschen vorstellten – oft nach dem Vorbild ihrer eigenen Kultur. Diese Darstellungen prägten sich tief in das kollektive Gedächtnis der Christenheit ein.

Frühe christliche Kunst zeigt allerdings ein anderes Bild: In den römischen Katakomben des 3. Jahrhunderts findet man Darstellungen Jesu mit kurzen Haaren und ohne Bart – angepasst an das römische Schönheitsideal jener Zeit. Erst mit der Etablierung des Christentums als Staatsreligion unter Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert wurde Jesus zunehmend mit Bart und langem Haar dargestellt – als Zeichen von Autorität und göttlicher Weisheit. Dieses Bild wurde später in der westlichen Kunst tradiert und dominiert bis heute viele Darstellungen.

Auch in der Kirche Jesu Christi finden sich Gemälde, die Jesus eher europäisch zeigen. Diese Bilder sind nicht historisch, sondern symbolisch: Sie sollen Jesu göttliche Eigenschaften – Liebe, Barmherzigkeit, Stärke – sichtbar machen. Die Erste Präsidentschaft hat mehrfach betont, dass Bilder des Erretters eine Hilfe zur Andacht sein können, aber keine historische Genauigkeit beanspruchen.

Warum spielt das Aussehen von Jesus überhaupt eine Rolle?

In einer multikulturellen Welt ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass Jesus nicht europäisch war, sondern ein Mann des Nahen Ostens. Diese Erkenntnis hilft uns, ein umfassenderes, realistischeres und inklusiveres Bild vom Erretter zu gewinnen.

Wenn wir verstehen, dass Jesus für alle Menschen kam – unabhängig von Herkunft, Sprache oder Aussehen –, können wir ihm auf neue, tiefere Weise begegnen.

Fazit: Der wahre Jesus ist mehr als ein Bild

Jesus war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Mann mit dunklerer Haut, semitischen Zügen und schlichter Erscheinung. Doch sein wahres Wesen liegt nicht in seinem äußeren Bild, sondern in seiner unendlichen Liebe und seinem Opfer für uns alle.

Für Gläubige und Suchende ist es eine wertvolle Überlegung, sich mit dem historischen Jesus auseinanderzusetzen, ohne dabei seine göttliche Natur aus dem Blick zu verlieren.

Ob du nun gerade anfängst, dich für Jesus zu interessieren, oder schon lange mit ihm deinen Weg gehst: Die Frage, wie Jesus wirklich aussah, kann helfen, ihm näher zu kommen – nicht mit den Augen, sondern mit dem Herzen.

Fragen zum Nachdenken

  • Welches Bild von Jesus hast du innerlich vor Augen?
  • Würde es etwas an deinem Glauben ändern, wenn Jesus ganz anders aussähe als erwartet?
  • Warum ist es dir wichtig, wie Jesus aussah – oder auch nicht?

Solche Fragen können helfen, nicht nur über ein historisches Gesicht nachzudenken, sondern über die ganz persönliche Beziehung zum Erretter.


Quellen: