Ein überraschender Fund in einem alten Brief

Manchmal öffnet uns die Bibel ihre Schätze erst auf den zweiten Blick. Genau das ist beim 2. Johannesbrief passiert. Jahrhundertelang glaubten Christen, dass der Brief an eine “auserwählte Herrin” geschrieben wurde – ohne Namen, ohne Geschichte, ohne Gesicht. Ein geheimnisvoller Schatten am Rand der Bibel.

Doch neue Forschungen deuten darauf hin, dass diese Frau einen Namen gehabt haben könnte. Der Vorschlag geht besonders auf den Neutestamentler Lincoln H. Blumell zurück, der die Theorie entwickelt hat, dass sie Eclecte hieß – eine spannende, wenn auch noch nicht allgemein anerkannte Sichtweise.

Das macht den zweiten Johannesbrief plötzlich sehr lebendig. Denn er wäre dann einer der wenigen Briefe im Neuen Testament, der direkt an eine namentlich bekannte Christin geht.

Wer war Eclecte?

Der Name wirkt ungewohnt, doch er war damals gar nicht so selten. In der römischen Welt trugen viele Frauen den Namen Eclecte. Er bedeutet so viel wie “die Erwählte“. Ein schöner Name – und ein Name, der gut in die Welt der frühen Christen passt.

Wenn der 2. Johannesbrief tatsächlich “An Eclecte, die Herrin” begonnen haben sollte, wie Blumell sagt, erfahren wir etwas Wunderbares:
Diese Frau stand mit den Aposteln in Verbindung. Sie war offenbar Gastgeberin, Leiterin oder geistliche Stütze einer frühen Hausgemeinde. Christen trafen sich in ihrem Zuhause, lernten, beteten und wuchsen im Glauben.

Sie war also keine Randfigur, sondern eine Schwester im Glauben, die Verantwortung trug – mitten in einer Zeit, in der Christen oft im Verborgenen lebten.

Wie konnte ihr Name verloren gehen?

Die Bibel wurde jahrhundertelang abgeschrieben. Frühe Texte waren ohne Leerzeichen zusammengeschrieben. Dadurch konnten leicht kleine Fehler passieren. Ein paar Buchstaben zu viel oder zu wenig – und schon wurde aus einem Namen ein Adjektiv.

In den ältesten griechischen Texten stand alles in einer langen Buchstabenreihe, zum Beispiel: ΟΠΡΕΣΒΥΤΕΡΟΣΕΚΛΕΚΤΗΤΗΚΥΡΙΑ

Wenn der ursprüngliche Text lautete: Ὁ πρεσβύτερος Ἐκλέκτῃ τῇ κυρίᾳ („Der Älteste an Eclecte, die Herrin“),

konnte ein Kopist die doppelte Buchstabenfolge τῇ τῇ (tē tē) leicht übersehen. So blieb nur: Ὁ πρεσβύτερος ἐκλεκτῇ κυρίᾳ („Der Älteste an die auserwählte Herrin“).

Es ist beeindruckend, wie ein winziger Unterschied eine große Geschichte verändern kann – und gleichzeitig wichtig zu wissen, dass diese Lesart eine mögliche Rekonstruktion ist, nicht ein eindeutig bestätigter Befund. Und es ist ermutigend zu sehen, wie sorgfältige Forschung verlorene Details wieder ans Licht bringen kann.

Porträt einer Frau aus neutestamentlicher Zeit, als symbolische Darstellung von Eclecte im Neuen Testament.
Symbolische Darstellung einer Frau aus der Zeit des Neuen Testaments – ein mögliches Bild für Eclecte. Bild: Mehr Glaube

Warum Eclecte uns heute berührt

Eclecte erinnert uns daran, dass Gott die Namen seiner Kinder kennt – auch wenn wir sie manchmal vergessen. Sie zeigt uns:

  • Frauen spielten eine wichtige Rolle in der frühen Kirche.
  • Gott wirkt durch Menschen, die ihr Zuhause öffnen.
  • Auch scheinbar kleine Lebenskreise können große Wirkung haben.
  • Jeder Name ist Gott wichtig – und jeder Mensch hat eine Aufgabe.

Eclecte ist ein stilles Zeugnis dafür, dass Glaube im Alltag beginnt. In Häusern, in kleinen Gruppen, in persönlichen Beziehungen.

Vielleicht war ihr Haus ein Ort der Wärme und des Gebets. Vielleicht hat sie anderen Mut gemacht, manche vor falscher Lehre geschützt und die Einheit der Gemeinde bewahrt. Wir wissen es nicht genau – aber der Brief zeigt: Sie war wichtig.

Warum diese Entdeckung unseren Glauben stärken kann

Wenn wir erkennen, dass hinter den biblischen Texten echte Menschen stehen, kommt die Schrift uns näher. Sie wird persönlicher, vertrauter und menschlicher.

Eclecte war eine Christin wie du und ich. Sie versuchte, treu zu leben, Entscheidungen zu treffen, Gott zu dienen – und sie war mit den Aposteln verbunden. Das macht Mut, denn:

Gott schreibt Geschichte mit Menschen, die ihm vertrauen.
Auch heute. Auch mit uns.

Auf einen Blick: Eclecte, die Herrin

Was bedeutet der Name “Eclecte”?

Der Name bedeutet “die Erwählte” oder “die Geliebte”. Er war in der Antike ein normaler Frauenname. Wenn er tatsächlich im 2. Johannesbrief steht, beschreibt der Brief also nicht eine unbestimmte Person, sondern eine konkrete Christin.

War Eclecte eine Gemeindeleiterin?

Das ist möglich. Der Brief zeigt, dass in ihrem Haus eine christliche Gemeinschaft zusammenkam. Sie hatte Verantwortung, sollte auf gute Lehre achten und zeigte Gastfreundschaft. Das deutet darauf hin, dass sie eine wichtige Rolle spielte.

Ist die Entdeckung sicher?

Ihr Name ist nicht in den bekannten Handschriften erhalten. Es handelt sich um eine gut begründete Rekonstruktion, die erklärt, wie der Name verloren gegangen sein könnte. Viele Fachleute finden die Theorie plausibel, aber sie ist nicht endgültig bewiesen.

Warum ist Eclecte für Christen heute interessant?

Weil sie zeigt, dass Frauen im frühen Christentum aktiver und wichtiger waren, als wir manchmal denken. Ihr Beispiel erinnert uns daran, dass Glauben Mut, Herz und Verantwortung bedeutet – egal in welcher Zeit wir leben.

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