Sehersteine haben eine lange Geschichte in religiösen Traditionen und waren Werkzeuge, die in biblischen Zeiten und von den Völkern des Buches Mormon verwendet wurden. Diese Steine, die im Alten Testament als „Urim und Thummim“ bekannt sind, dienten dazu, göttliche Urteile zu fällen, Wissen zu erlangen oder unbekannte Sprachen zu übersetzen. Diese Hilfsmittel konnten nur von Sehern genutzt werden, die von Gott berufen und durch seine Macht befähigt wurden.
In Offenbarung 2:17 wird Gläubigen ein „weißer Stein“ verheißen, auf dem ein neuer Name geschrieben steht. Dieser weiße Stein, wie in Lehre und Bündnisse 130 Verse 10 und 11 erklärt, ist ein Seherstein, durch den man im Himmel tieferes Wissen erlangen kann:
“Dann wird der weiße Stein, der in Offenbarung 2:17 erwähnt ist, für jeden, der einen empfängt, zu einem Urim und Tummim werden, wodurch das, was eine höhere Ordnung der Reiche betrifft, kundgetan werden wird; und einem jeden von denen, die in das celestiale Reich gelangen, wird ein weißer Stein gegeben, worauf ein neuer Name geschrieben ist, den kein Mensch kennt als nur der, der ihn empfängt. Der neue Name ist das Schlüsselwort.”
Urim und Thummim, was ursprünglich „Lichter und Vollkommenheiten“ bedeutet, wurden in der Bibel genutzt, um Offenbarungen von Gott zu empfangen und Entscheidungen zu treffen. Diese Verbindung zwischen Sehersteinen und göttlichem Wissen zieht sich durch die heiligen Schriften.
Die Rolle der Sehersteine im Buch Mormon
Die Nutzung von Sehersteinen war nicht nur in der biblischen Geschichte präsent, sondern auch im Buch Mormon von zentraler Bedeutung. Die Nephiten besaßen neben dem Urim und Thummim auch andere heilige Gegenstände, darunter ein großer, gravierter Stein (Omni 1:20) und 24 beschriftete Platten, die von den Jarediten stammten. Diese Relikte enthielten das Wissen und die Geschichte vergangener Zivilisationen. Da niemand in der Lage war, die Inschriften zu lesen, wurden sie dem Propheten und Seher König Mosia übergeben, der sie mithilfe von Urim und Thummim übersetzte. Dies unterstreicht die Wichtigkeit der Sehersteine als Werkzeuge für göttliche Offenbarungen und die Bewahrung heiligen Wissens.
Joseph Smith, der Gründer der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, erhielt von dem Engel Moroni die goldenen Platten, die das Buch Mormon enthielten. Zusammen mit den Platten erhielt Joseph die „Übersetzer“ (Urim und Thummim), die einen Teil des Übersetzungsprozesses erleichterten. Doch Joseph hatte auch einen eigenen Seherstein, der ihm bei seiner Arbeit half. Diese Tatsache führte zu Diskussionen und Zweifeln unter den frühen Anhängern und Kritikern der Kirche.
Die Bedeutung von Sehersteinen in Joseph Smiths Umfeld
Die Verwendung von Sehersteinen war in der ländlichen Region von New York, wo Joseph Smith aufwuchs, keine Seltenheit. Diese Region war für ihre starke Verbindung zu folkloristischen Traditionen bekannt, einschließlich der Nutzung von Sehersteinen zur Schatzsuche und zur Auffindung verlorener Gegenstände. Sally Chase, eine bekannte „Seherin“ in Palmyra, war berühmt für ihre Fähigkeit, durch ein grünes Glas zu sehen und verlorene oder verborgene Dinge zu finden. Joseph Smiths erster Seherstein war ein ausgeliehener, vielleicht von ihr. Dieser Stein half ihm, seine eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und seine(n) eigenen Seherstein zu finden.
Josephs Fähigkeit, verlorene Gegenstände zu finden, wurde in seiner Gemeinde anerkannt, und er wurde häufig gebeten, seine Gaben einzusetzen. Es gibt Berichte, dass Joseph nach seiner ersten Begegnung mit dem Engel Moroni den Ort des Hügels Cumorah durch eine Vision in einem Seherstein wiedererkannte, bevor er ihn tatsächlich besuchte. Diese Erfahrungen verstärkten den Glauben seiner Familie und Freunde an seine Berufung als Prophet.
Die Vereinigung von Religion und Folklore
Joseph Smiths frühes Leben war stark von einer Kultur geprägt, die sowohl christliche als auch für uns heute abergläubische Überzeugungen vereinte. Es war zu dieser Zeit nicht ungewöhnlich, dass religiöse Praktiken mit Elementen des Aberglaubens vermischt wurden. Viele Menschen, auch diejenigen mit einer formalen Ausbildung, sahen keinen Widerspruch darin, ihren christlichen Glauben mit volksmagischen Praktiken zu verbinden.
Für Joseph Smith war diese kulturelle Durchmischung von grundlegender Bedeutung, da sie seine spätere spirituelle Entwicklung beeinflusste. Durch seine Visionen und die Besuche des Engels Moroni begann Joseph, die wahre Religion von den volkstümlichen Praktiken seiner Zeit zu unterscheiden. Diese Unterscheidung war ein wichtiger Teil seiner Ausbildung und half ihm, seine Rolle als Prophet zu verstehen und zu erfüllen.
Joseph Smiths Verwendung von Sehersteinen bei der Übersetzung des Buches Mormon
Joseph Smiths Verwendung von Sehersteinen war ein wesentlicher Bestandteil des Übersetzungsprozesses des Buches Mormon. Obwohl er den Urim und Thummim, die mit den goldenen Platten geliefert wurden, zu Beginn der Übersetzung verwendete, stellte sich heraus, dass die Handhabung der beiden Steine in ihrem Rahmen unbequem war. Daher griff Joseph manchmal auf seinen eigenen Seherstein zurück, um den Text zu übersetzen.
Eine bekannte Episode, die seine Verwendung des Sehersteins schildert, ereignete sich, als Martin Harris, einer seiner frühen Unterstützer, die Fähigkeiten des Propheten auf die Probe stellte.
Einmal fand Martin einen Stein, der dem Seherstein ähnelte, den Joseph manchmal anstelle der Übersetzer benutzte, und tauschte ihn ohne das Wissen des Propheten aus. Als die Übersetzung wieder aufgenommen wurde, hielt Joseph lange inne und rief dann: „Martin, was ist los, alles ist so dunkel wie Ägypten.“ Martin gestand dann, dass er „den Mund von Narren schließen“ wollte, die ihm sagten, dass der Prophet Sätze auswendig lernte und sie nur wiederholte.
Harris war überzeugt, dass Josephs Fähigkeit authentisch war.
Während der Übersetzung der ersten 116 Seiten des Buches Mormon, die später verloren gingen, benutzte Joseph den weißen Seherstein, den er bequem in einem Hut platzierte. Dies ermöglichte es ihm, den Stein zu betrachten und die Worte, die ihm offenbart wurden, seinem Schreiber zu diktieren. Diese Methode war für Joseph praktisch und wurde von mehreren Zeugen bestätigt.
Warum Josephs Methode der Übersetzung Plagiatsvorwürfe widerlegt
Joseph Smiths Übersetzungsmethode mit dem Seherstein widerlegte die späteren Plagiatsvorwürfe. Da Joseph und sein Schreiber oft im selben Raum saßen, ohne dass Joseph Zugang zu Büchern oder Manuskripten hatte, konnte er nichts abschreiben. Die Verwendung eines Steins in einem Hut, anstelle wie anfangs einen abgeschirmten Raum mit Vorhängen, machte es unmöglich, dass er Texte auswendig gelernt oder sie aus anderen Quellen kopiert hatte.
Kritiker sollten sich daher entweder mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass der Text tatsächlich durch göttliche Eingebung entstanden ist, oder annehmen, dass Joseph über ein außergewöhnliches Gedächtnis verfügte, das ihm erlaubte, große Mengen an Informationen fehlerfrei zu wiederholen. Diese Überlegungen tragen dazu bei, die Einzigartigkeit des Buches Mormon als göttliche Offenbarung zu verstehen.
Der spirituelle Fortschritt Joseph Smiths: Vom Seherstein zur direkten Offenbarung
Mit der Zeit entwickelte Joseph Smith seine spirituellen Fähigkeiten weiter und benötigte schließlich keinen Seherstein mehr, um Offenbarungen zu empfangen. Nachdem er getauft worden war und den Heiligen Geist empfangen hatte, war er weniger auf physische Hilfsmittel angewiesen. Durch seine spirituelle Reife konnte er direkt durch göttliche Inspiration handeln, ohne dass er die Übersetzer oder Sehersteine benötigte. Orson Pratt, ein früher Apostel der Kirche, erklärte, dass Joseph den Urim und Thummim nicht mehr brauchte, weil er die Fähigkeit entwickelt hatte, direkte Offenbarungen zu empfangen.
Diese Entwicklung zeigt Josephs Wachstum als Prophet und seinen wachsenden Glauben an die Fähigkeit, Gottes Willen ohne die Hilfe von materiellen Mitteln zu erkennen. Dies markierte einen entscheidenden Wendepunkt in seiner prophetischen Karriere und reflektiert die dynamische Natur seiner Beziehung zu Gott.
Das Schicksal der Sehersteine: Wo sind sie heute?
Die Frage nach dem Verbleib der Sehersteine ist von großem Interesse für viele Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Die nephitischen Übersetzer, die ursprünglich mit den goldenen Platten geliefert wurden, wurden nach dem Verlust der 116 Seiten von dem Engel Moroni zurückgefordert. Später wurden sie nur noch den Drei Zeugen des Buches Mormon gezeigt.
Ein weiterer Seherstein, der von Joseph Smith verwendet wurde, gelangte in den Besitz von Oliver Cowdery, einem seiner engsten Vertrauten. Es gibt Hinweise darauf, dass ein weiterer Seherstein sich im Besitz der Ersten Präsidentschaft der Kirche befindet.
Die Position der Kirche zu Joseph Smiths Verwendung von Sehersteinen
Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage hat über die Jahre hinweg offen über Joseph Smiths Verwendung von Sehersteinen gesprochen. In verschiedenen kirchlichen Veröffentlichungen und Ansprachen wurde die Rolle dieser Steine im Leben und Werk Josephs thematisiert. Zwei Beispiele: 1974 veröffentlichte die Kirche einen Artikel, der die Verwendung von Sehersteinen durch Joseph Smith erklärte und in historischen Kontext stellte. Auch Apostel Russell M. Nelson erwähnte in einem Vortrag im Jahr 1993 Josephs Verwendung von Sehersteinen im Übersetzungsprozess des Buches Mormon.
Diese Offenheit zeigt, dass die Kirche die historische Bedeutung der Sehersteine anerkennt und ihre Rolle in der Gründungsgeschichte der Kirche würdigt. Die Sehersteine sind ein faszinierender Aspekt der frühen Kirchengeschichte und bieten Einblicke in die Methoden und Praktiken, die Joseph Smith als Prophet verwendete.
Schlussfolgerung: Sehersteine als Brücke zwischen Vergangenheit und Offenbarung
Joseph Smith begann seine prophetische Mission in einer Zeit, in der die Nutzung von Sehersteinen und anderen spirituellen Hilfsmitteln in seiner Kultur akzeptiert war. Diese Hilfsmittel spielten eine zentrale Rolle in den frühesten Phasen seiner prophetischen Arbeit und trugen zur Entstehung des Buches Mormon bei. Doch im Laufe der Jahre entwickelte sich Josephs Fähigkeit, göttliche Offenbarungen direkt zu empfangen, was seinen spirituellen Fortschritt und seine enge Beziehung zu Gott widerspiegelt. Diese Art von Offenbarung ist auch die Offenbarung, auf die wir uns heutzutage verlassen.
Die Kirche hat die Verwendung von Sehersteinen in ihrer Geschichte anerkannt und weiterhin darüber gelehrt. Sie bleiben ein faszinierender Bestandteil des Erbes der Kirche und ein Symbol für die Verbindung zwischen irdischen Werkzeugen und himmlischem Wissen.