Aus meinem Leben…

Die letzten anderthalb bis zwei Jahre waren für mich eine Zeit großer persönlicher Umbrüche. In meinem Leben hat sich viel verändert – zum Guten, möchte ich meinen. Die „Schuldigen“ für diesen Wandel lassen sich schnell finden: meine Hochzeit und – wie immer – Corona. Vor dem Ausbruch des Coronavirus war ich ein leidenschaftlicher „Bodybuilder“, für den es nur wenig Wichtigeres gab als den alltäglichen Gang ins Fitnessstudio. Als die Fitnessstudios dann im März vorletzten Jahres für einige Zeit ihre Tore schlossen, musste ich mich nach einer anderen sportlichen Betätigung umsehen. Ich entdeckte das Radfahren und Wandern in der Natur für mich und genoss die frische Luft, die plötzlich nicht mehr nach Schweiß roch und den Anblick wunderschöner Landschaften und Orte statt trister Betonwände.

Meine Hochzeit führte dazu, dass ich die Abende mit meiner Frau und nicht – wie bisher – mit einem Buch verbrachte. Ihr Wunsch nach einem gemütlichen Abend auf der Couch vor dem Fernseher, gepaart mit meinem Wunsch nach intellektuellem Mehrwert, führte zu dem Kompromiss, Dokus anstelle von Blockbustern zu gucken. Eine dieser Dokumentationen thematisierte die Auswirkungen unserer Ernährungsweise auf uns und unsere Umwelt. In der Folge änderte sich zusätzlich zu meinem Sport auch meine Ernährung drastisch. Der Bodybuilder, der täglich ein Kilogramm Fleisch und ein Kilogramm Magerquark verspeiste, wurde zum annähernd veganen Ausdauersportler. Und so kam es, dass – während andere Männer im ersten Jahr nach ihrer Hochzeit 10 kg zunehmen – ich 20 kg abnahm. Hätte meine Frau mich wegen meiner Statur geheiratet, wäre der Scheidungsanwalt sicher nicht mehr fern gewesen. Glücklicherweise unterstützt sie mich in allem, was ich tue und ist mit ihrem „neuen“ Ehemann (meistens) ganz zufrieden.

Meine Frau und ich sitzen auf einem Felsgrat im Nationalpark Eifel umgeben von verschlungenen Eichen.
Meine Frau und ich zu unserem 1. Hochzeitsjubiläum beim Wandern im Nationalpark Eifel (2021)

Ich könnte die Liste jetzt noch fortführen und erzählen, wie sich mein Kindheitstraum vom Besitz eines Audi R8 zu dem – momentan genauso unrealistischen – Traum einer gut ausgebauten Rad- und ÖPNV-Infrastruktur wandelte. Doch an dieser Stelle reicht eine kurze Zusammenfassung: Ich bemühe mich, ein besseres, bewussteres und nachhaltigeres Leben zu führen und auch meine Mitmenschen besser zu behandeln. 

Wieso erzähle ich euch das alles?

Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht hoffe, den ein oder anderen von euch dazu zu bewegen, seinen Fleischkonsum zu überdenken oder die natürlichen Ressourcen stärker zu schonen. Aber ich möchte weniger für konkrete Maßnahmen werben, als für persönlichen Fortschritt in allen Lebensbereichen allgemein. Ob und was ihr in eurem Leben danach ändert, bleibt jedem selbst überlassen.

An dieser Stelle möchte ich betonen, dass ich nicht als Moralapostel auftreten möchte und mir auch nicht anmaße, über andere Menschen und ihre spezifischen Lebensumstände zu urteilen. Ich bin mir bewusst, dass gerade Überlegungen zur Nachhaltigkeit extreme Privilegien voraussetzen. Nicht jeder kann es sich erlauben, auf das Auto zu verzichten oder ausschließlich von ökologisch angebauten Nahrungsmitteln zu leben – und das ist okay. Ich kann es auch nicht. Aber ich denke, dass zumindest jeder, der diesen Beitrag liest und damit (freien) Zugang zum Internet hat und aller Wahrscheinlichkeit nach im deutschsprachigen Raum lebt, sich in einer so privilegierten Situation befindet, dass er oder sie sich die Zeit und Muße erlauben kann, darüber nachzudenken, wie ein besseres Leben für uns, unsere Mitmenschen und unsere Umwelt aussehen kann.

Allzu häufig werden innerhalb (und außerhalb) der Kirche religiöse und politische Fragen, Glaube und private Lebensführung getrennt gedacht. Doch alles ist geistig (vgl. Lehre und Bündnisse 29:34). Wir werden vor dem Thron Gottes für alle unsere Gedanken, Taten und Überzeugungen gerichtet (vgl. Alma 12:14). Alle Bereiche unseres Lebens werden auf Konsistenz mit den Lehren und Geboten des Evangeliums überprüft. Deswegen ist es so wichtig, unsere Bemühungen um stete Verbesserung auch auf alle Bereiche unseres Lebens auszuweiten.

Nächstenliebe und soziale Verantwortung

Wir alle kennen das Gebot, unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst und bemühen uns von Herzen, dieses auch zu befolgen. Wir dienen unseren Mitmenschen und versuchen, ihnen Gutes zu tun. Dabei denken wir jedoch zumeist nur an die Menschen, die uns räumlich oder emotional nahestehen und an diejenigen, die wir mit unseren physischen Augen sehen können. Meist außer Acht bleiben die über 7 Milliarden anderen Menschen auf dieser Erde, mit denen wir nicht unmittelbar in Berührung kommen. Doch wieso sollte sich dieses Gebot nicht auch auf sie beziehen? Wieso sollten wir in unserem Konsumverhalten oder CO2-Ausstoß gerechtfertigt sein, wenn dies dazu führt, dass eine ungeheure Anzahl unserer himmlischen Geschwister unter menschenunwürdigen Bedingungen ausgebeutet werden oder gar ihre Heimat verlassen müssen? Sich diesen schwierigen Fragen zu stellen, ist unangenehm, aber notwendig. Auch ich muss mir dabei selbst an die Nase fassen und merke, dass ich noch viel in meinem Leben verbessern muss. Doch eines scheint mir klar: Wenn ich durch mein eigenes Streben nach Vergnügen und Bequemlichkeit anderen genau diese Dinge vorenthalte, dann liebe ich diese Menschen gerade nicht wie mich selbst. Dann liebe ich mich selbst mehr als meinen Nächsten.

Vielleicht ist dieses Gebot „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ nicht zuletzt deshalb – zusammen mit dem Gebot „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken“ – das wichtigste Gebot (vgl. Matthäus 22:37-39), weil es alle Bereiche unseres Lebens umfasst und beeinflussen sollte.

Klimaschutz und das Wort der Weisheit

Begriffe wie Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung oder Klimaschutz, die auf den ersten Blick keine religiöse Dimension haben, sollten zentrale Themen für jeden Menschen und insbesondere für jedes Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage sein, das danach strebt, das Evangelium Jesu Christi in allen Lebensbereichen geltend zu machen. Die Heiligen Schriften bieten auch hier – wie immer – die beste Anleitung. Denken wir nur kurz an das Wort der Weisheit, das lange vor den Diskussionen um Tierwohl und die desaströsen ökologischen Folgen der Massentierhaltung gegeben wurde. 

Dort steht, dass das „Fleisch von Tieren und von den Vögeln der Luft […] sparsam gebraucht werden [soll]; und es ist mir [Gott] angenehm, dass es nicht gebraucht werde, außer in Zeiten des Winters oder der Kälte oder der Hungersnot. Alle Körnerfrucht ist den Menschen und den Tieren zum Gebrauch verordnet, dass sie die Stütze des Lebens sei […] und [die Tiere] hat Gott gemacht, damit der Mensch sie gebrauche, doch nur in Zeiten der Not und des übermäßigen Hungers.“

(Lehre und Bündnisse 89:12-15, Hervorhebungen von U.W.)

Wenn sich jeder Mensch oder zumindest jedes Mitglied der Kirche Jesu Christi gewissenhaft an dieses Gebot hielte, wäre bereits ein Riesenschritt zur Begrenzung des Klimawandels, zur Sicherung sauberen Grundwassers und dem Erhalt der Wälder geleistet, weil es gerade in unseren westlichen Industrienationen seit Jahrzehnten keine Hungersnot und keinen Winter mehr gegeben hat, der die Nutzung von Fleisch nötig gemacht hätte. (1)

Auf dem Bikld zu sehen sind einige auf dem oden liegende Ferkel. Gerade bei ihnen sollte das Thema Tierwohl eine größere Rolle in unserer Gesellschaft spielen.

Vom weisen und vom trägen Diener

Nun lässt sich einwenden, dass es dem Herrn lediglich „angenehm“ ist, wenn wir außerhalb von Notlagen auf den Konsum von Fleisch verzichten – es ist ja kein „Gebot“. Das stimmt. Aber auf diese Art von Argumenten antwortet der Herr:

„Denn siehe, es ist nicht recht, dass ich in allem gebieten muss; denn wer in allem genötigt werden muss, der ist ein träger und nicht ein weiser Diener, darum empfängt er keinen Lohn.“

(Lehre und Bündnisse 58:26)

In meinem Bekanntenkreis ist mir eine Auffassung begegnet, die vielleicht repräsentativ für die vieler Mitglieder der Kirche stehen kann: „Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass der Zug abgefahren ist und die Klimakatastrophen zum zweiten Kommen gehören“. Und auch wenn ich mich immer mehr dazu gezwungen fühle, diese Diagnose zu teilen, weigere ich mich jedoch, den Fatalismus zu akzeptieren, der in diesen Worten zum Ausdruck kommt. Es mag schon sein, dass die ökologischen, klimatischen und sozialen Katastrophen, die sich derzeit anbahnen, zum zweiten Kommen Christi gehören – aber: Ich möchte nicht daran schuld sein. Ich möchte vor dem Thron Gottes stehen und für schuldlos befunden werden können. (2)

Es liegt an uns

Vor einiger Zeit bat mich ein Freund, ihm bei seinen Philosophiehausaufgaben zu helfen. Er sollte sich eines der zur Auswahl stehenden Zitate aussuchen und einen kurzen Text dazu verfassen. Das Zitat, zu dem ich ihm riet, hat mich sehr beeindruckt und bis heute nicht losgelassen:

„Der Mensch ist die Krone der Schöpfung.

Nur schade, dass es eine Dornenkrone ist.“

Stanislaw J. Lec

Zu sehen ist ein Affe hinter Gittern. Tierwohl ist auch in Bezug auf Zoos immer wieder ein Thema.

Ich kann und möchte euch nicht vorschreiben, welche Veränderungen ihr in eurem Leben machen solltet. Das müsst ihr selbst entscheiden. Vielleicht sind euch beim Lesen schon ein paar Dinge eingefallen. In dem Leben eines jeden von uns – in jeder Krone – stecken mehr als genug Dornen. Lasst uns versuchen, einen nach dem anderen herauszuziehen, damit wir eines schönen Tages diese Erde tatsächlich schmücken – und nicht peinigen.

Auf meiner Hochzeitsreise in den Dolomiten (2020)

Du hast eine Frage an mich? Du möchtest mir zustimmen oder widersprechen? Schreib mir gerne in den Kommentaren oder über das Kontaktformular auf dieser Webseite. Ich werde mich bemühen, jedem zu antworten! Ich bin gespannt und freue mich auf deine Gedanken! 

Anmerkungen:

  1. Um die Bedingungen Winter, Kälte und Hungersnot richtig zu verstehen, die im Wort der Weisheit den Verzehr von Fleisch legitimieren, muss ein Blick auf die Zeit geworfen werden, in der das Wort der Weisheit offenbart wurde. Dabei wird deutlich, dass mit “Winter” nicht primär die Jahreszeit, mit “Kälte” keine bestimmte Temperatur und mit “Hungersnot” nicht das Knurren des Magens nach einem Tag des Fastens gemeint ist. Im “Wilden Westen” des frühen 19. Jahrhunderts gab es keine Supermärkte, die täglich mit frischem Gemüse gefüllt wurden. Der Winter war die Zeit des Jahres, in denen die Felder unter einer dicken Schneedecke erstickten und aufgrund der Kälte nichts darauf wuchs. Die häufig daraus resultierende Hungersnot führte dazu, dass die Menschen sich zwischen dem Verzehr von Fleisch und dem Hungertod entscheiden mussten. In einer solchen extremen Situation, die absolut gar nichts mit den Lebensumständen einer überwältigenden Mehrheit der Mitglieder der Kirche in Europa und Nordamerika zu tun hat, ist absolut klar, dass dem Herrn das Leben eines Menschen wichtiger ist als das eines Tieres. Der Mensch kann und soll Fleisch essen, wenn sein Leben davon abhängt. Aber die Existenz eines Lebewesens auszulöschen, nur “weil es schmeckt” oder “weil man die Konsistenz mag”, ist dem Herrn eben nicht “angenehm”. Mit anderen Worten: Es missfällt Gott.
  2. Interessant ist in diesem Kontext das Beispiel von Judas, der durch seinen Verrat zwar biblische Prophezeiungen erfüllte, aber dennoch die Schuld für seine Tat tragen musste. “Der Menschensohn muss zwar seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt. Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird! Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre” (Matthäus 26:24). Eigentlich sorgte Judas nur dafür, dass etwas geschah, was ohnehin geschehen musste. Und trotzdem war er in seinem Handeln nicht gerechtfertigt. Bei den sozialen, ökologischen und klimatischen Katastrophen, die dem zweiten Kommen Christi vorausgehen, ist es wahrscheinlich nicht anders. Sie sind in den Heiligen Schriften prophezeit und müssen sich ereignen – doch weh dem, der sie verschuldet.

Über den Autor:

Urs Wrenger machte seinen Abschluss in Philosophie und Germanistik an der Ruhr-Universität Bochum. Er versucht, die Philosophie als konstruktive Disziplin in der Gesellschaft zu reetablieren und auch für religiöse Themen produktiv zu machen. Wenn Urs nicht gerade liest, geht er wandern, fährt Fahrrad oder genießt Rock ‘n’ Roll aus den 60er- bis 90er-Jahren.

Dieser Artikel über Tierwohl, Klimaschutz und soziale Verantwortung im Evangelium Jesu Christi wurde von Urs Wrenger verfasst und am 25.11.2021 auf treuimglauben.de veröffentlicht.

Wenn Sie mehr über die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) wissen möchten, dann besuchen Sie einfach eine der offiziellen Webseiten der Kirche: kommzuchristus.org und kirche-jesu-christi.org.

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