Vor allem ein Wort in der Bibel hat mich schon immer gestört: das Wort „unrein”. Besonders, wenn es im Zusammenhang mit Menstruation, Geburt, sexueller Intimität und dem Körper der Frau zu tun hatte. Beispielsweise heißt es in Levitikus 15:19-20:
„Hat eine Frau Blutfluss und ist solches Blut an ihrem Körper, soll sie sieben Tage lang in der Unreinheit ihrer Regel verbleiben. Wer sie berührt, ist unrein bis zum Abend. Alles, worauf sie sich in diesem Zustand legt, ist unrein; alles, worauf sie sich setzt, ist unrein.”
13 weitere Verse lang wird beschrieben, wie Frauen während der Menstruation unrein sein können. In Levitikus 12 wird dargelegt, wie eine Frau nach einer Geburt unrein ist und noch unreiner, nachdem sie ein Mädchen geboren hat. Es scheint so, als ob die Bibel voll von Beispielen dafür ist, wie der Körper einer Frau, insbesondere das Blut, das sie verliert, unrein ist. So unrein, dass es jemanden, der sich in der Nähe einer Frau aufhält, die blutet, auch unrein machen kann.
All das störte mich. Ich weiß, dass es Frauen gibt, denen beigebracht wurde, sich wegen ihrer Fähigkeit zu menstruieren, zu schämen, denen es peinlich oder lästig ist. Aber meine Mutter hat gute Arbeit dabei geleistet, mir die Schönheit, Freude und Verantwortung beizubringen, die damit einhergehen, dass man einen weiblichen Körper hat. Zu Hause und in der Kirche wurde mir beigebracht, dass Dinge wie die Menstruation, Geburt und sexuelle Intimität gut sind, ein Weg, um neues Leben in die Welt zu bringen und dass sie eine wichtige Rolle dabei spielen, Gottes Plan für seine Kinder zu erfüllen. Es verwirrte mich, dass Gott es als „unrein” bezeichnen sollte und es umfangreiche Rituale brauchte, um wieder davon rein zu werden.
Also beschäftigte ich mich ausführlicher mit dem Thema. Ich stieß auf die Frau, die in Matthäus 9:20 an Blutungen litt. Es interessierte mich, welche Erfahrungen sie machte und weshalb sie als unrein galt. Das erste, was ich herausfand, war, dass das hebräische Wort, das mit „unrein” übersetzt wird (Tum’a טֻּמְאָה), nicht „dreckig” oder „verseucht” bedeutet.
Um genau zu sein ist das Wort Tum’a ein komplexes Wort, das nicht direkt übersetzt werden kann. Am einfachsten erklärt, bedeutet es „Energie des Todes”, die in der Welt ist. Es kommt vom Wort tamai, das „spirituell unrein” bedeutet und für Trennung von der Gegenwart Gottes steht. Nach jüdischer Lehre ist Tum’a das, was durch Adam und Eva in die Welt kam, als sie vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse aßen. Tum’a bezeichnet den Verlust göttlicher Macht, der durch die Distanz zu Gott kommt und dadurch, dass wir nun sowohl körperlich als auch geistig sterben können.
Ein Leichnam ist die stärkste Form von Tum’a („Unreinheit”), weil ein lebendiger Körper, so wie er von Gott geschaffen wurde, das größte geistige Potential von allen Schöpfungen Gottes besitzt.
Wenn ein Mensch stirbt, geht das geistige Potential „verloren” und hinterlässt ein „geistiges Vakuum”; der Körper wird Tum’a . Auf ähnliche Art und Weise ist auch eine Frau nach einer Geburt Tum’a , weil sie während ihrer Schwangerschaft mit potentiellem Leben und geistiger Schöpfungskraft angefüllt war. Wenn sie ihr Kind auf die Welt bringt, verliert sie geistige Macht und wird Tum’a . Zusätzlich dazu, dass sie ein Kind auf die Welt gebracht hat, hat sie auch mehr Tod in die Welt gebracht, weil jedes lebendige Kind eines Tages auch sterben muss.
Auf gewisse Weise sind wir alle an dem Tag unserer Geburt „gefallen”; wir haben die Gegenwart Gottes verlassen, wo wir rein und sündenfrei waren. Als wir geboren wurden, wurden wir dem „natürlichen” Menschen untertan; wir konnten von nun an Sünde begehen, wodurch wir uns noch weiter von Gott entfernen. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, weshalb eine Frau, die ein Mädchen auf die Welt bringt, als doppelt so unrein galt (vgl. Levitikus 12) – jedes neugeborene Mädchen bedeutete mehr Leben, aber auch mehr Tod und mehr Sünde … mehr Tum’a also.
Auch ein Mann wurde nach dem Geschlechtsverkehr als Tum’a angesehen, weil er potentielles Leben „verloren” hatte, das in jedem Samen, der vergossen wurde, enthalten war. Auf ähnliche Art und Weise galt auch eine Frau nach der Periode als unrein, da jede Eizelle, die „verloren” ging, das Potential hatte, neues Leben zu werden. Jede Eizelle einer Frau hält göttliche Macht in sich; die Macht, sich zu aktivieren und Leben zu kreieren. Solange die Eizelle noch in der Frau ist, ist das geistige Potential hoch. Sobald die Eizelle aber durch den weiblichen Körper wandert und ausgestoßen wird, geht dieses geistige Potential verloren, er befindet sich in einem Zustand der Tum’a .
Um wieder „rein” (rituell rein) von Tum’a zu werden, muss man sich in einer Mikweh (hebr. מִקְוֶה) waschen. Die Mikweh dient nicht der Hygiene; bevor sich jemand in der Mikweh wäscht, muss er sich nämlich von Kopf bis Fuß waschen. Es gibt viele Parallelen zur Taufe; man taucht vollständig unter Wasser, um geistig rein zu werden und sich mit Gott zu versöhnen. Mir hat die Beschreibung einer jüdischen Frau gefallen, die von ihrem Verständnis von Tum’a und Mikweh erzählt:
„In den Worten von Rabbi Aryeh Kaplan steht Wasser für den Mutterleib, die Schöpfung. Wenn jemand in der Mikweh eintaucht, begibt er sich in den Zustand eines Ungeborenen und unterwirft sich damit völlig Gottes Schöpfungskraft. In diesem Zusammenhang betrachtet, lässt sich verstehen, wie das Untertauchen in der Mikweh Tum’a wegwäscht. Nachdem wir mit dem Tod in Berührung gekommen sind, tauchen wir in die Substanz ein, aus der das Leben entstand.” (Quelle)
Unter dem Gesetz des Mose musste jeder – männlich, weiblich, jung, alt – für die eigenen Sünden sühnen, um wieder rein und heilig zu sein. Wir wissen jedoch, dass das Gesetz des Mose wegen des Sühnopfers Christi nicht länger verlangt wird. Christus erfüllte das Gesetz des Mose und ermöglichte es uns, von unseren Sünden und unserer Tum’a rein zu werden, wenn wir sein heiliges Opfer annehmen. Kinder sind bei ihrer Geburt rein; sie können nicht sündigen (Moroni 8:11). Jede Woche, wenn wir vom Abendmahl nehmen, werden wir rein, vergleichbar mit der Art und Weise, wie die frühen Juden durch die Mikweh von ihrem gefallenen Zustand, dem Zustand der Tum’a, rein gemacht wurden.
Es ist eine wunderschöne Symbolik und sollte den Kindern Israels helfen, ihr Herz dem Erretter zuzuwenden, dem einen, der uns von unserem ständig andauernden Zustand der Tum’a befreit. Aber es gab noch mehr, was durch diese Gebote gelehrt werden sollte. Die oben erwähnte Frau führt weiter aus:
„Diese Gesetze zur Menstruation inspirieren uns, wie auch die anderen jüdischen Gesetze, durch die Wunder des täglichen Lebens. Wir sehen den Menstruationszyklus nicht als ekelhaft – auch nicht als Routine oder gewöhnlich. Diese Gesetze befähigen uns dazu, dieses großartige Potential des Lebens zu erkennen, das in unserem Körper erneuert wird.”
Es gefällt mir gut, dass sie sagt, dass diese Menstruationsgesetze dafür gemacht wurden, dass Frauen die unglaubliche Kraft erkennen, die ihrem Körper innewohnt. Ich glaube, dass die Menstruation in unserer Kultur zu häufig als Routine, als unbequem, peinlich oder beschämend betrachtet wird. Wir feiern nicht, wenn eine junge Frau zum ersten Mal ihre Periode bekommt und würdigen das Blutopfer nicht, das Frauen jeden Monat geben – ein Opfer, dass das menschliche Leben auf der Welt überhaupt erst möglich macht.
Ich denke, dass wenn wir Frauen wirklich verstehen würden, welch unglaubliche Macht unser Körper hat, dies unsere Einstellung zu uns selbst verändern würde. Wie beeindruckend es doch ist, dass jede Frau, die auf die Welt kommt, Hunderte, ja Tausende Eizellen in sich trägt. Mit der Pubertät wird diese Macht, aus diesen Eizellen Menschen werden zu lassen, aktiviert. Von diesem Zeitpunkt an vergießt sie die nächsten 30-40 Jahre monatlich Blut als Tribut dafür, dass das Leben fortgeführt wird. Selbst wenn aus keiner dieser Eizellen jemals ein menschliches Wesen wird, ist ihr Körper ein Kraftwerk des Lebens; ein Opfer, das jeden Monat gebracht wird, voller Hoffnung. Und das ist nicht „schmutzig” oder auf irgendeine Art und Weise „unrein”… es ist einfach nur ein Wunder.
Lies mehr über die Rolle der Frau in der Kirche Jesu Christi.
Der Beitrag wurde aus dem Englischen übersetzt. Er wurde ursprünglich am 15.2.2016 auf womeninthesciptures.com unter dem Titel „What Does it Mean for a Woman to be “Unclean” in the Bible?” veröffentlicht. Die Autorin ist Heather. Übersetzt von Kristina Vogt.
Wenn du mehr über die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage wissen möchtest, dann besuche einfach eine der offiziellen Webseiten der Kirche: kommzuchristus.org und kirche-jesu-christi.org
Vielen Dank für deinen Beitrag. Beim Lesen von Levitikus 12 machte sich Furore in mir breit, als ich lesen musste dass eine Frau als unrein bezeichnet wurde und beim Gebähren einer Tochter, die Mutter doppelt so lang unrein ist im Gegensatz zum Gebähren eines Sohnes. Das könnte sehr schnell als misogyn gedeutet werden. Deine Erklärung macht Sinn, allerdings verstehe ich nicht wieso sich Menschen von den Frauen abwenden sollen während der Menstruation – sind ja keine Aussätzigen?
LG
Vielen Dank für deinen Beitrag. Beim Lesen von Levitikus 12 machte sich Furore in mir breit, als ich lesen musste dass eine Frau als unrein bezeichnet wurde und beim Gebähren einer Tochter, die Mutter doppelt so lang unrein ist im Gegensatz zum Gebähren eines Sohnes. Das könnte sehr schnell als misogyn gedeutet werden. Deine Erklärung macht Sinn, allerdings verstehe ich nicht wieso sich Menschen von den Frauen abwenden sollen während der Menstruation – sind ja keine Aussätzigen? Und wieso gelten Männer nicht als unrein ? mit ihrem Sperma sind sie ebenso in der Lage, Leben zu zeugen.
LG