„Menschen sind, damit sie Freude haben können“ (2 Nephi 2:25).
Diese Schriftstelle ist wohl den meisten von uns bekannt. Wir alle hoffen auf das große Glück. Wir alle suchen nach wahrer Freude. Leider stellt sich im Leben relativ schnell heraus, dass diese gar nicht so leicht zu finden ist. Was uns als Kindern keine Mühe bereitete – voller Vertrauen und Zuversicht in den Tag zu leben –, fällt vielen von uns mit zunehmendem Alter immer schwerer. Die Sorgen der Welt und die Probleme des Alltags fordern ihren Tribut. Doch in den Schriften steht nicht „Kinder sind, damit sie Freude haben können“, sondern „Menschen sind, damit sie Freude haben können“. Wir alle sind Menschen. Also können wir auch alle Freude haben. Die Frage ist nur: Wie?
Minimalismus auf Netflix…
Kurz vor dem Jahreswechsel empfahl mein Schwager mir eine Dokumentation auf Netflix: Minimalism (dt. „Minimalismus“). Wenig später schauten meine Frau und ich sie uns an. Beim Minimalismus geht es um eine simple Lebensweise, die in dieser zunehmend komplexer werdenden Welt darauf abzielt, unsere Ressourcen – Zeit und Geld – so einzusetzen, dass sie uns und anderen möglichst viel Freude bringen. Es geht im Kern darum, ein glücklicheres Leben zu führen. Der Minimalist versucht dieses Ziel dadurch zu erreichen, dass er sich von möglichst vielen überflüssigen irdischen Besitztümern löst, um dadurch Platz in seinem Leben für das zu schaffen, was wirklich zählt. Ein Minimalist besitzt nur solche Dinge, die er nötig hat und die ihm Freude bringen.
Mit dieser Herangehensweise grenzt sich der Minimalismus explizit von der heutigen Konsumgesellschaft ab, die Freude im Konsum von Gütern zu finden hofft. Begriffe wie Kaufrausch oder Shopaholic bilden diese Mentalität längst in unserem Wortschatz ab. Da wir immer mehr Produkte kaufen und Produkte Geld kosten, müssen wir auch immer mehr arbeiten, um das nötige Geld zu verdienen, das unseren Hunger auf mehr stillt. Ein Minimalist, der sich mit weniger begnügt, benötigt folglich auch weniger Geld. Er muss weniger arbeiten und kann die dadurch gewonnene Zeit auf eine Weise nutzen, die ihn und andere glücklich macht.
Das Konzept des Minimalismus sprach meine Frau und mich sofort an. Begeistert gingen wir noch am selben Abend durch unsere Sockenkiste, die schon seit Jahren überquillt. Die guten Socken, die wir am Anfang eines Tages eh immer rausfischten, behielten wir. Die abgetragenen und löchrigen schmissen wir weg und die intakten, aber selten benutzten wurden zusammen mit einigen Handtüchern gespendet. Am nächsten Morgen ging es dann im Wohnzimmer weiter: Bücher, CDs und DVDs wurden durchforstet und bekamen die Prädikate behalten, verkaufen, verschenken zugewiesen. Der selbstgebaute TV-Schrank wurde aufgeräumt und von einigen alten Telefonbüchern und Gebrauchsanweisungen gereinigt. Der neu gewonnene Platz und die vermehrte Ordnung bringen uns bis heute Freude.
bei den Philosophen…
Zu Weihnachten schenkte mir mein Vater ein Buch von Arthur Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit. Schopenhauer ist ein Philosoph des 18. und 19. Jahrhunderts, der für seine pessimistische Sicht auf die Welt bekannt ist. In diesem Buch jedoch versucht gerade er, eine „Anweisung zu einem glücklichen Dasein“ zu skizzieren. Schon nach wenigen Seiten stellt er fest, dass
„die subjektiven Güter, wie ein edler Charakter, ein fähiger Kopf, ein glückliches Temperament, ein heiterer Sinn und ein wohlbeschaffener, völlig gesunder Leib […] zu unserm Glücke die ersten und wichtigsten [sind]; weshalb wir auf die Beförderung und Erhaltung derselben viel mehr bedacht sein sollten, als auf den Besitz äußerer Güter und äußerer Ehre“.
Zu meiner Überraschung fand ich den Kerngedanken des vermeintlich modernen Minimalismus in einer 170 Jahre alten Schrift wieder. Kurz darauf stellte ich fest, dass er noch viel älter ist:
Es wird überliefert, dass Sokrates – der berühmte Philosoph der Antike – beim Anblick zum Verkauf ausgelegter Luxusartikel gesagt haben soll:
„Wie vieles gibt es doch, was ich nicht nötig habe“.
Die Weisheit des Minimalismus findet ihren Ursprung nicht in der Moderne – sie begleitet die Menschen seit jeher. Bei meinen weiteren Überlegungen stieß ich bald auf das mächtigste Zeugnis für diese Botschaft. Es stammt von dem wohl perfekten Minimalisten. Von der Person, die ihren Fokus immer auf das Wesentliche und nie auf das Weltliche gerichtet hat: dem Sohn Gottes, Jesus Christus.
„Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen, sondern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen! Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. […] Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen oder trinken sollt, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt! Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? […] Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Spanne verlängern?“ (Matthäus 6: 19-21,25,27)
im Evangelium Jesu Christi…
Das Evangelium Jesu Christi beinhaltet einen effektiven Mechanismus, der uns dabei hilft, unseren Schatz – und somit auch unser Herz – im Himmel anzulegen. Er hilft denen, die von ihm Gebrauch machen, den Fokus weg von den Reichtümern dieser Welt hin zum Wesentlichen zu richten. Mitglieder der Kirche Jesu Christi werden dazu aufgefordert, das biblische Gebot des Zehnten zu befolgen. Wie Abraham sollen wir ein Zehntel unseres jährlichen Einkommens dem Herrn darbringen, indem wir es zugunsten des Aufbaus seines Reiches auf Erden spenden. Dieses Gebot scheint der Welt heute absurder denn je. In einer Zeit, in der jeder verzweifelt versucht, an Geld und Reichtum zu kommen, geben wir freiwillig einen nicht unerheblichen Teil davon auf. Im Gegenzug wird der Herr uns
„die Schleusen des Himmels öffne[n] und Segen im Übermaß auf [uns] herabschütte[n]“ (Maleachi 3:10).
Ich glaube, dass dieser Segen nicht zuletzt darin besteht, dass unser Glück krisenbeständiger wird. Wenn unser Herz weniger an Dingen und mehr an unserem persönlichen Fortschritt, unserer Beziehung zu Gott und anderen Menschen hängt, dann sind weltliche „Katastrophen“ wie der Verlust von Eigentum oder unseres Arbeitsplatzes für unser Wohlbefinden weit weniger verheerend. Unsere Lebensumstände definieren nicht länger unser Glück. Wir werden in allen Lebenslagen Freude finden können.
Gerade in Zeiten der Coronapandemie haben viele Menschen Existenzängste, weil sich ihr Einkommen – durch Kurzarbeit oder ähnliches – verringert hat. Doch wenn wir nach einem himmlischen Schatz streben, uns auf das Wesentliche konzentrieren und unseren Konsum hinterfragen, dann benötigen wir auch weniger Geld. Stattdessen können wir unseren Fokus auf die hinzugewonnene Zeit richten, die es uns ermöglicht, anderen und uns selbst etwas Gutes zu tun. Menschen sind, damit sie Freude haben – fangen wir heute damit an!
Über den Autor:
Urs Wrenger machte seinen Abschluss in Philosophie und Germanistik an der Ruhr-Universität Bochum. Er versucht, die Philosophie als konstruktive Disziplin in der Gesellschaft zu reetablieren und auch für religiöse Themen produktiv zu machen. Wenn Urs nicht gerade liest, geht er wandern, fährt Fahrrad oder genießt Rock ‘n’ Roll aus den 60er- bis 90er-Jahren.
Dieser Artikel über Minimalismus wurde von Urs Wrenger verfasst und am 22.01.2021 auf treuimglauben.de veröffentlicht.
Wenn Sie mehr über die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) wissen möchten, dann besuchen Sie einfach eine der offiziellen Webseiten der Kirche: kommzuchristus.org und kirche-jesu-christi.org.
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