Ein heikles Thema – und doch kommt man nicht drumrum. Als Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage sind wir dazu angehalten, gute Staatsbürger zu sein, informiert am politischen Prozess teilzunehmen und zu wählen.¹ Wir sind im Besitz einer unendlich wertvollen Botschaft der Liebe, die es vermag, die Welt nachhaltig zu verändern. Nicht zuletzt aus diesem Grund erging an uns der Auftrag, diese Botschaft zu verbreiten und der Welt ein Licht zu sein.² In Deutschland genießen wir den großen Vorzug, in einer Demokratie zu leben. Demokratie heißt: Mitmachen. Möglichkeiten gibt es dazu freilich genug: Am 13.09. findet in NRW die Kommunalwahl statt – eine Möglichkeit, unser Licht leuchten zu lassen und die kleine Welt unserer Städte und Bezirke zu verändern!

Wen sollen wir wählen?

Wir wissen jetzt, dass wir wählen sollen – aber wir wissen noch nicht, wen oder was wir wählen sollen. Optionen gibt es zuhauf. Etwa 120 Parteien werben in Deutschland um die Gunst der Wähler.³ Dieser Parteiendschungel ist ebenso vielfältig wie undurchsichtig. Hinter welchem Namen oder Namenskürzel soll man da bloß sein Kreuz setzen? Ein Blick zur Kirche wird uns nicht weiterhelfen. Die Kirche Jesu Christi ist politisch neutral. Sie spricht sich weder für noch gegen politische Parteien, Kandidaten oder Gruppierungen aus.⁴ Sie überlässt diese Entscheidung vertrauensvoll ihren Mitgliedern. Auch ein Blick in die heiligen Schriften wird enttäuschen: Keine einzige der heutigen Parteien wird dort namentlich erwähnt – welch eine Überraschung.

Zu sehen ist ein Kruez in einem Kreis, dazu ein rostfarbener Stift. Zur anstehenden Wahl werden auch wir wieder entscheiden, wo unser Kreuz gemacht wird.

Bedeutet das nun, dass es völlig egal ist, wem wir unsere Stimme geben? Mitnichten. Ebenso falsch wäre es jedoch zu behaupten, es gäbe die eine Partei, die jeder glaubenstreue Jünger Christi zu unterstützen hätte. Beide Extreme können nicht richtig sein. Denn eine politische Willkür führte zu der widersprüchlichen Aussage, es sei moralisch vertretbar, eine moralisch unvertretbare Partei zu wählen und eine moralische Notwendigkeit basiert auf der realitätsfernen Annahme, es existiere eine Partei, die in jeder Hinsicht besser wäre als alle anderen. Doch jede – oder zumindest die meisten – haben ihre Stärken und Schwächen. Der Schwerpunkt wird lediglich anders gesetzt.

Das Evangelium als Wegweiser

Die Wahrheit liegt – wie so häufig – in der Mitte. Die Kirche und die heiligen Schriften sagen uns zwar nicht, welche Partei wir zu wählen haben, doch sie lehren uns moralische Grundsätze und Gebote. In meinem Artikel zum Gehorsam habe ich gezeigt, dass es die Pflicht moralischer Menschen ist, gegen eine unmoralische Regierung aufzubegehren. Besser ist es hingegen, wenn wir der Machtübernahme einer solchen Regierung durch unsere politischen Entscheidungen aktiv entgegenwirken. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf können wir den Parteiendschungel bereits etwas lichten: Wir sollten nur die Parteien wählen, die Gottes fundamentalen Gesetzen nicht zuwiderhandeln.

Bei einer Wahl sollte man sich als Christ mit einzelnen Parteien beschäftigen, um zu wissen, ob sie den fundamentalen Gesetzen Gottes zuwiderhandeln oder nicht.

So weit, so gut. Je nach Auslegung des oberen Prinzips bleiben nach der Auslese noch genügend Parteien zur Auswahl. Wie soll man weiter verfahren? Wir befinden uns nun im Raum des moralisch Akzeptablen – innerhalb des von Gott gesteckten Rahmens. Wen wir auch wählen, völlig daneben liegen werden wir zumindest nicht. Das bedeutet allerdings keineswegs, dass jede Entscheidung innerhalb dieses Rahmens auch gleich gut ist.⁵ Es liegt an uns, eine möglichst kluge und rationale Entscheidung zu treffen.

Um eine intelligente Entscheidung zu treffen, müssen wir alle bekannten Fakten und Aspekte einer Angelegenheit abwägen. Doch das reicht nicht aus. Richtige Entscheidungen erfordern Gebet und Inspiration“.⁶

Konzentrieren wir uns vorerst auf unsere Verantwortung innerhalb des Entscheidungsprozesses: das Abwägen. Wollen wir eine intelligente Entscheidung treffen, müssen wir uns informieren. Gelegenheit dazu bieten Wahlprogramme, politische Debatten oder auch ein Gespräch bei Wahlkampfveranstaltungen, bei denen man dem Politiker persönlich auf den Zahn fühlen kann. Nur wenn wir wissen, für was eine Partei oder ein Politiker steht, können wir auch entscheiden, ob sie in der Lage ist, uns adäquat zu repräsentieren.

Zu sehen ist eine noch nicht ausgefüllte Pro- und Contra-Liste.

Ein kleiner Exkurs …

Wir werden naturgemäß der politischen Agenda zustimmen, die die größte Übereinstimmung mit unserer persönlichen Weltanschauung aufweist. Damit unsere Sicht auf die Welt auch als Grundlage einer guten politischen Entscheidung dienen kann, muss sie selber einigen Qualitätsmerkmalen genügen. Dafür ist es besonders wichtig, sich vorab einige unabhängige und rationale Gedanken zu machen. Jeder hat politische oder moralische Themen, die ihm oder ihr aus dem ein oder anderen Grund besonders am Herzen liegen. In einem vorherigen Artikel habe ich erläutert, dass es sich nicht normieren lässt, welches Gute wir aktiv zu unterstützen haben. Es gibt nicht die eine gute Sache, für die sich jeder zu engagieren hat. Im Gegenteil: In einer Welt, in der sich alle Menschen nur für die vermeintlich dringlichste Sache einsetzen, würden viele wichtige Probleme einfach unter den Tisch fallen.

Man stelle sich nur eine Welt vor, in der sich jeder ausschließlich für den Klimaschutz engagiert. In einer solchen Welt würde sich niemand mehr um die vielen hunderttausenden von Flüchtlingen kümmern. Niemand würde das Plastik aus den Ozeanen fischen, niemand die Hungernden der Welt speisen, niemand für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen oder die Rechte von Minderheiten einfordern. Gleichzeitig ist es notwendig, dass sich jemand aktiv für den Klimaschutz einsetzt. Kurz gesagt: Es ist gut und richtig, dass wir uns für verschiedene Dinge engagieren, um die Welt als Ganzes zu einem besseren Ort zu machen. Als Grundsatz lässt sich bei der Wahl des persönlichen Engagements nur eines formulieren: Strebe nach allem Guten, aber auf welches du deine aktiven Bemühungen konzentrierst, magst du frei wählen!

Damit unsere Bemühungen die Welt auch wirklich zu einem besseren Ort machen, müssen die positiven Konsequenzen unseres Engagements die negativen Konsequenzen übertreffen. Und – als wäre die Sache nicht schon kompliziert genug – rational dürfen wir unser Handeln nur dann nennen, wenn die Differenz dieser Konsequenzen möglichst groß ist. Ein Beispiel soll erhellen, was ich damit meine: Nehmen wir an, ich hätte es mir zur Lebensaufgabe gemacht, die Unterdrückung der Uiguren in China zu beenden. Um mein Ziel zu verwirklichen, möchte ich an Demonstrationen für diese Minderheit teilnehmen. Einer dieser Proteste findet in Sydney, Australien statt. Die Wirkung einer Demonstration ist begrenzt. Ich muss abwägen, ob mein positiver Einfluss auf dieser Demonstration größer ist als der Schaden, den die knapp 5,3 Tonnen CO₂ anrichten, die mein Flug dorthin emittiert. Möchte ich mein Ziel möglichst rational verfolgen, muss ich überlegen und entscheiden, ob ich die 23 Stunden Flugzeit nicht besser einsetzen kann, um den Uiguren zu helfen und wie sich der dabei verursachte Schaden in anderen Bereichen möglichst minimieren lässt.

Zu sehen ist ein Stift, liegend auf einem Zettel mit Mathematikaufgaben.

Man erkennt leicht das Problem: ein solches Kalkül ist unendlich komplex. Es fehlt an einem einheitlichen Indikator, der die Konsequenzen unserer Entscheidungen miteinander vergleichbar machte. Und selbst wenn es einen solchen gäbe, ließen sich alle Konsequenzen unserer jeweiligen Entscheidung mit einem begrenzten menschlichen Verstand unmöglich überblicken. Dieses Problem lässt sich kaum lösen. Das liegt daran, dass solche Abwägungen versuchen, die Wirklichkeit in ihrer Gänze zu erfassen. Leider ist es ein wesentliches Merkmal der Wirklichkeit, unendlich komplex zu sein. Jede noch so kleine Handlung bringt einen Stein ins Rollen, der auf seinem Weg das Potential entwickelt, den Lauf der Welt zu verändern und maßgeblich mitzubestimmen.

Wirklich lösen lässt sich das Problem allein durch den Rat von Elder James E. Faust:

„Richtige Entscheidungen erfordern Gebet und Inspiration“.⁸

Nur der unendliche Verstand Gottes vermag es, die unendliche Komplexität der Wirklichkeit vollständig zu erfassen. Nur er kann alle Konsequenzen unserer Entscheidungen überblicken. Wir tun daher gut daran, uns in allem mit ihm zu beraten.⁹ Durch Inspiration kann uns Gott an einem Teil seiner Allwissenheit teilhaben lassen und uns helfen, die natürlichen Grenzen unseres Verstandes zu überschreiten. Gibt er uns eine klare Antwort, ist es das beste und rationalste, dieser Folge zu leisten. Gibt er uns keine, überlässt er es uns, die Entscheidung nach sorgfältiger Abwägung und nach bestem Wissen und Gewissen zu treffen.

Zu sehen sind wie zum Gebet gefaltene Hände auf einer Bibel.

… zurück zum Thema

Vielleicht fragen Sie sich gerade, was dieser Exkurs mit dem Thema zu tun hat. Ich möchte es Ihnen sagen: Nachdem Sie sich darüber klar geworden sind, welche gute Sache Ihnen am Herzen liegt und sich rationale Gedanken gemacht haben, wie sie diese Sache bestmöglich und mit den geringsten Nebenwirkungen voranbringen können, dann wählen Sie – im Einklang mit Ihrem himmlischen Vater – einfach die Partei, die Ihren Überzeugungen am nächsten kommt. Eine solche Partei sollte der gleichen kritischen Prüfung standhalten können wie Ihr persönliches Engagement. Das heißt:

  • Sie sollte den fundamentalen Geboten Gottes nicht zuwiderhandeln
  • Sie sollte der Welt unterm Strich mehr helfen als schaden
  • Sie sollte ihre Ziele rational, d. h. effektiv verfolgen und die Differenz zwischen Nutzen und Schaden (den tatsächlichen Nutzen) damit möglichst groß werden lassen

Erfüllen die Parteien unserer Wahl diese Kriterien, dann wird die Welt zu einem besseren Ort. Durch politische Wahlen und Engagement in unseren Kommunen können wir unser Licht vor der Welt leuchten lassen. Es gibt keine Partei, die jedes Mitglied der Kirche Jesu Christi wählen sollte. Wir sind alle verschieden – und das ist auch gut so. Unsere Differenzen sollten sich in unseren politischen Entscheidungen widerspiegeln. Nur so lässt sich der kostbare Meinungs- und Facettenreichtum unserer Demokratie erhalten und moralisch nutzbar machen. Jedes gute Anliegen ist es wert, vertreten zu werden. Mögen die Worte Joseph Smiths auf uns und unsere Entscheidungen zutreffen:

Wenn es etwas Tugendhaftes oder Liebenswertes gibt, wenn etwas guten Klang hat oder lobenswert ist, so trachten wir danach“.¹⁰

Bei der anstehenden Wahl haben die verschiedensten Menschen die Möglichkeit, ihre Stimme einer Partei zu geben.

Anmerkungen:

(1)  12.Glaubensartikel,

 https://newsroom.churchofjesuschrist.org/official-statement/political-neutrality?lang=deu

(2)   Matthäus 5:14-16

(3)   https://www.bpb.de/politik/grundfragen/parteien-in-deutschland/kleinparteien/

(4)   https://newsroom.churchofjesuschrist.org/official-statement/political-neutrality?lang=deu

(5)   Uns muss zunächst bewusst werden, dass allein die Tatsache, dass etwas gut ist, noch kein triftiger Grund ist, es auch zu tun. Die Menge des Guten, was wir tun könnten, beansprucht weit mehr Zeit, als uns dafür zur Verfügung steht. Einiges ist besser als gut, und dem sollten wir in unserem Leben vorrangig Aufmerksamkeit widmen.“ (Dallin H. Oaks: Gut, besser, am besten)

(6)   James E. Faust: Entscheidungen

(7)   Wir müssen uns vor einem blinden Eifer hüten, der unsere Sicht verengt. Unser gutes Anliegen ist nicht das einzige in der Welt und es ist auch nicht besser oder legitimer als jedes andere. Als moralisch-rationale Menschen muss uns alles Gute am Herzen liegen, auch wenn die Begrenztheit von Zeit und Ressourcen verhindert, dass wir alles Gute aktiv unterstützen. Es wäre falsch das Klima um der Uiguren willen zu zerstören oder umgekehrt. Man kann keinen guten Zweck durch schlechte Mittel erreichen – der Zweck heiligt die Mittel nicht.

(8)   James E. Faust: Entscheidungen

Vgl. auch Richard G. Scott: Wahrheit, die Grundlage richtiger Entscheidungen:

„Es gibt zwei Wege, Wahrheit zu finden. Beide sind nützlich, sofern wir die Gesetze beachten, auf denen sie beruhen. Der erste ist die wissenschaftliche Methode. Sie kann erforderlich machen, dass Daten analysiert werden, um eine Theorie zu bestätigen, oder dass durch Experimentieren ein gültiges Prinzip bewiesen wird. Die wissenschaftliche Methode ist ein wertvoller Weg, Wahrheit zu finden. Allerdings stößt sie an zwei Grenzen: Erstens können wir nie sicher sein, dass wir die absolute Wahrheit gefunden haben, auch wenn wir ihr oft immer näher kommen. Zweitens können wir manchmal ungeachtet dessen, wie ernsthaft wir methodisch vorgehen, die falsche Antwort erhalten.

Der beste Weg, Wahrheit zu finden, ist, sich einfach an die Quelle aller Wahrheit zu wenden und zu fragen oder für Inspiration empfänglich zu sein. Dabei hängt der Erfolg von zwei Voraussetzungen ab: erstens unerschütterlicher Glaube an die Quelle aller Wahrheit; zweitens die Bereitschaft, Gottes Gebote zu befolgen, um die geistige Verbindung zu ihm aufrechtzuerhalten.“

(9) Alma 37:37, Sprichwörter 3:5-7

(10)  13. Glaubensartikel


Über den Autor:

Urs Wrenger machte seinen Abschluss in Philosophie und Germanistik an der Ruhr-Universität Bochum. Er versucht die Philosophie als konstruktive Disziplin in der Gesellschaft zu reetablieren und auch für religiöse Themen produktiv zu machen. Wenn Urs nicht gerade liest, geht er wandern, befindet sich im Fitnessstudio oder genießt Rock ‘n’ Roll aus den 60er- bis 90er-Jahren.

Dieser Artikel über Religion und Politik wurde von Urs Wrenger verfasst und am 27.08.2020 auf treuimglauben.de veröffentlicht.

Wenn Sie mehr über die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) wissen möchten, dann besuchen Sie einfach eine der offiziellen Webseiten der Kirche: kommzuchristus.org und kirche-jesu-christi.org.

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